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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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verteidigt, blieb sie auf dem Sprung und hoffte, die Gefahr würde sich wieder verziehen. Und plötzlich wusste sie auch, dass das nicht Jacquou war, der näher kam.
    Ein Mann machte sich an dem Werkzeug, den Waren und den Kartons zu schaffen und nahm sich dann die Wollballen vor. Alix machte sich so klein wie möglich und sah ängstlich zu, wie einer nach dem anderen weggeräumt wurde bis schließlich der letzte an der Reihe war, hinter dem sie versteckt war. Jetzt sah sie auch den Mann, der vor ihr stand und vielleicht zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt sein mochte. Er war groß, hatte eine gute Figur und sah trotz seiner grauen Haare und den vielen feinen Falten im Gesicht sehr ansehnlich aus. Alix zitterte am ganzen Körper und glaubte, ihn zu erkennen, wagte aber nicht zu fragen.
    »Steh auf, Kleine. Ich muss dich mitnehmen.«
    »Wer seid Ihr denn?«, stammelte Alix mit einer Stimme, die ihr aus einem bösen Traum zu kommen schien.
    »Das sage ich dir später. Jetzt bist du erstmal still und machst keine Geschichten.«
    »Aber …«
    Der Mann reichte ihr die Hand, die sie, noch immer zitternd, nahm. Sie wollte schreien, aber irgendetwas schnürte ihr die Kehle zu. Sie dachte an das Kloster und sagte sich, wenn sie schrie, wenn sie herumtobte und sich verteidigte, sich zur Wehr setzte, konnte sie sicher sein, dass der Mann, der stärker war als sie, sie auf dem kürzesten Weg wieder dorthin bringen würde. Also hielt sie den Mund.
    »Komm jetzt, beeil dich ein bisschen! Ich tu dir schon nichts.«
    Er nahm sie am Arm und schob sie nach draußen, ohne sich die Mühe zu machen, die Tür hinter ihnen abzuschließen.
    Sein Pferd war wenige Schritte neben der Werkstatt angebunden. Der Mann nahm sie um die Taille und ließ sie vor sich aufsitzen. Sie ritten noch lange weiter, als sie die Stadt längst verlassen hatten. Alix spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen, aber als sie zu schluchzen begann, rief ihr der Mann zu:
    »Wein doch nicht, kleines Mädchen. Du musst nicht zurück ins Kloster. Aber ich sage dir gleich, dass wir einen weiten Weg vor uns haben.«
    »Ihr seid Meister Coëtivy, hab ich Recht?«, fragte sie ihn zwischen zwei Schluchzern.
    Er gab keine Antwort.
    »Wohin bringt Ihr mich?«
    »Nach Nantes.«
    »Ich will aber nicht nach Nantes. Ich will hier in Tours bleiben und Jacquou wiedersehen.«
    »Und genau deshalb wirst du nicht hierbleiben.«
    »Aber was wollt Ihr denn nur? Was habt Ihr mit mir vor?«
    »Meinetwegen können wir jetzt eine Pause machen und ein bisschen reden, weil wir inzwischen weit genug von Tours entfernt sind. Ich will dir deine Fragen beantworten.«
    Er stieg von seinem Pferd ab und half auch ihr auf den Boden.
    »Wer ich bin? Ja, du hast mich schon richtig erkannt, ich bin Meister Coëtivy.«
    »Meister Coëtivy! Hab ich’s mir doch gedacht. Aber was wollt Ihr denn von mir? Woher wisst Ihr denn …«
    »Isabelle de La Trémoille hat mich verständigt. Zum Glück war ich gerade in der Gegend.«
    »Aber …«, versuchte Alix mit halb erstickter Stimme einzuwenden.
    »Wir wollen nämlich nicht, dass zwischen dir und Jacquou etwas passiert, was dann nicht wiedergutzumachen wäre. Weil du nämlich noch sehr jung bist, meine Kleine, und Jacquou auch. Ich lasse auf keinen Fall zu, dass er seine Zeit und seine Energie mit einer Liebelei verschwendet, bei der er nur den Kopf verliert. Er muss sein Meisterwerk vorbereiten, und zum jetzigen Zeitpunkt darf er an nichts anderes denken.«
    »Aber das weiß ich doch selbst sehr gut, Meister Coëtivy, und ich werde alles dazu tun, was in meinen Kräften steht, damit er sich diesen großen Traum erfüllen kann.«
    »Nein, gar nichts weißt du, du dummes kleines Ding! Jacquou ist viel zu jung, um so inbrünstig zu lieben. Er wäre nicht in der Lage, seine Leidenschaft zu beherrschen. Und dann würde er sein Pflichtgefühl und seinen Sinn für Realität verlieren.«
    Wie hätte Alix, die fast verrückt wurde vor Verzweiflung, ahnen sollen, dass Meister Coëtivy bei dem Wort »Leidenschaft«, das ihr auch viel besser gefiel als »Liebelei«, an Léonore dachte?
    Ja! Pierre de Coëtivy hatte Léonore und die Inbrunst, mit der er sie geliebt hatte, nicht vergessen. Ihre Liebe war eine belebende und zugleich zerstörerische Leidenschaft gewesen. Eine Leidenschaft, die ihn in düsterer Untätigkeit versinken zu lassen drohte, als die schöpferische Phase zu Ende gegangen war. Léonore hatte ihn voll und ganz beansprucht, und er hatte

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