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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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würden.
    In Angers musste das Gespann Halt machen, weil der Sturm inzwischen so stark war, dass er alles mitnahm, was ihm in den Weg kam: Die Regale und die Auslagen vor den Geschäften, die schleunigst geschlossen wurden, die Lasten der Esel und die Körbe der Waschfrauen, die sich beeilten, nach Hause zu kommen, und die eisernen Eimer der Wasserverkäufer, die den Leuten lauthals zuriefen, sie sollten ihre leeren Eimer nur vors Haus stellen, dann hätten sie bald so viel Wasser wie sie wollten.
    Die Situation wurde zunehmend ernster, und weil es nicht aufhörte, in Strömen zu regnen, drohte der Fluss in den nächsten Stunden über die Ufer zu treten.
    Da bei diesem verheerenden Wetter an eine Weiterreise nicht zu denken war, beschloss Jean, in der Herberge »Zum heiligen Christopherus« abzusteigen und den Sturm abzuwarten, ehe man früh am nächsten Morgen weiterfahren wollte.
    Aber das Gasthaus war bis auf den letzten Platz belegt! Es gab nur noch einige provisorische Schlafplätze, mit denen Anselme und Alix ganz zufrieden gewesen wären. Für einen Kardinal kam eine gewöhnliche Kammer allerdings nicht in Frage.
    Der Wirt riet ihnen, es im Gasthaus »Zum schwarzen Schwan« zu versuchen, das ganz in der Nähe war. Jean de Villiers befahl den Frauen, in der warmen Kutsche zu warten, bis er die Lage geklärt hätte, und betrat die Herberge. Er landete in einem überfüllten Speiseraum, in dem Unmengen von Reisenden unter großem Lärm beim Abendessen saßen.
    Obwohl man ihn von allen Seiten anrempelte, gelang es Jean irgendwie, sich bis zur Theke zu dem Wirt vorzukämpfen, der wegen des allgemeinen Chaos an diesem Abend in hellem Aufruhr war. Der Prälat drehte sich jedes Mal um die eigene Achse, wenn ihn wieder eine Gruppe aufgebrachter Gäste gestoßen hatte. Wasser lief in Strömen durch die Eingangstür und drang in die Gaststube; zwei Dienstmädchen versuchten es zwar aufzuhalten, konnten aber nichts ausrichten, weil immer wieder völlig durchnässte Reisende die Tür öffneten und hereinwollten.
    »Oje, Hochwürden!«, schrie der Wirt, als er den Prälaten endlich in der Ecke entdeckt hatte, in der er vor den anderen Gästen einigermaßen sicher war. »Wir haben leider kein einziges Zimmer mehr frei, wegen dem Mistwetter da draußen!«
    »Eben wegen dem Mistwetter muss ich aber darauf bestehen.«
    »Gute Güte! Und wenn Ihr noch so heilig seid, Hochwürden, ich kann wirklich nichts für Euch tun«, entgegnete der dicke Wirt, der völlig verschwitzt war, einen roten Kopf hatte und sich alles andere als wohl in seiner Haut zu fühlen schien.
    »Gibt es nicht mal ein Zimmer, das man mit jemand teilen könnte?«
    »Bedaure, kein einziges. Und alle anderen Gasthäuser in der Gegend sind auch voll. Wollt Ihr vielleicht eine Ecke im Stall? Wenn alle ein bisschen zusammenrücken, müsste es eigentlich noch ein Plätzchen geben. Aber wahrscheinlich sind die auch in der nächsten halben Stunde weg. Ich fürchte, Ihr müsst Euch schnell entscheiden.«
    »Die Ställe stehen längst unter Wasser«, unterbrach ihn eines der Dienstmädchen, das immer noch vergeblich versuchte, den Bach aufzuwischen, der durch die Haustür floss.
    Der Gastwirt hob hilflos die Hände.
    »Ich sehe schon, es hat keinen Sinn, guter Mann«, sagte Jean. »Dann versuchen wir eben unser Glück woanders«, meinte er und verließ das Gasthaus unter dem ohrenbetäubenden Lärm der anderen Gäste.
    Anselme war abgestiegen.
    »Was machen wir jetzt? Wir können nicht einmal in einem Stall übernachten; die stehen alle schon unter Wasser.«
    »Ich habe eine Idee«, antwortete Jean. »Wir bitten im Bischofssitz von Angers um Asyl. Ich kenne den Bischof. Er beherbergt uns bestimmt für eine Nacht.«
    Als sie sich auf den Weg Richtung Kathedrale machten, um dort um ein Nachtlager nachzufragen, konnten sie förmlich zusehen, wie schnell die Loire stieg.

7
     
    Charles ritt bereits seit Sonnenaufgang in Richtung Amboise. Gegen Ende des Sommers war er in Angoulême aufgebrochen und hatte zwei ganze Monate in Paris verbracht, um dort den Verkauf einiger Schmuckstücke vorzunehmen, mit dessen Erlös er die Reparaturarbeiten am Dach seines Schlosses bezahlen wollte.
    Die zwei Smaragde, die er kurz zuvor veräußert hatte, hatten leider nicht genug eingebracht, um damit alle notwendigen Arbeiten an den Einfriedungsmauern begleichen zu können, die seit einigen Jahren zusehends verfielen.
    Erst musste noch sintflutartiger Regen ausgerechnet in der Nacht vor

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