Die Seidenstickerin
etwas auf sich warten lassen.«
Da hörte er plötzlich aus der Ferne ein Wiehern. Erstaunt sah Charles sein Pferd an.
»Zum Henker! Das warst aber nicht du, der da so ängstlich gewiehert hat. Lass uns nachschauen, was da los ist, Pardaille.«
Eine Sturmböe drückte sie aneinander. Trotzdem gelang es ihnen irgendwie, die schlammige Biegung um den wütend brüllenden, wilden Fluss zu passieren. Der Horizont war nicht mehr zu sehen, so sehr waren Himmel und Fluss miteinander verschmolzen.
Der Regen nahm wieder an Heftigkeit zu, weshalb Charles nicht erkennen konnte, woher das Wiehern kam. Alle Wetter! Jetzt wurde das jämmerliche Wiehern immer lauter.
Charles glaubte, ein beunruhigendes Knirschen von Wagenrädern zu hören.
»Verdammt, das klingt aber sehr nach einer Kutsche, die in den Graben gefallen ist.«
Aber er musste warten, bis der starke Regen etwas nachließ, um die verunglückte Kutsche auszumachen. Zwischen zwei heftigen Windstößen meinte er dann tatsächlich, sehr undeutlich und weit weg einen Wagen zu sehen, der in den tiefen, schlammigen Graben gekippt war.
Als Charles und Pardaille sich endlich bis zu dem Unglücksort durchgekämpft hatten, regnete es zwar überhaupt nicht mehr, dafür stürmte es aber so heftig, dass überall dicke Äste von den Bäumen gerissen wurden, die bald gefährliche Hindernisse auf Straßen und Wegen bilden würden.
»Ist da jemand?«, schrie Charles. »Kann ich helfen?«
Da stürzte sich plötzlich jemand wie eine entfesselte Furie auf ihn und redete mit abgehackten, wirren und vollkommen unverständlichen Worten auf ihn ein.
»Na, na, nur langsam«, sagte Charles und versuchte, die Gestalt, die sich an ihn gehängt hatte, etwas von sich zu schieben. »Wer seid Ihr denn?«
»Ich flehe Euch an«, sagte die unbändige Gestalt jetzt etwas deutlicher, und zappelte wie ein Teufelchen in seinen Armen. »Rettet uns, mein Herr, wir sitzen fest!«
»Das ist ja nicht zu übersehen.«
»Aber wir hatten einen Unfall!«
Die Stimme wurde zwar nicht ruhiger, aber ein wenig klarer. Trotzdem sah Charles die Angst in den Augen, die ihn anstarrten.
»Wenn Ihr uns nicht helft, werden wir auf dieser verdammten Straße verhungern und erfrieren.«
»Seid Ihr denn schon lange hier?«
»Seit drei endlosen Stunden, mein Herr, und keine Menschenseele ist hier vorbeigekommen.«
»Nun – jetzt bin ich ja da!«, erlaubte sich Charles einen kleinen Scherz. »Pardaille und ich werden Euch retten.«
»Danke, mein Herr, Ihr müsst nämlich wissen, dass ich unbedingt so schnell wie möglich in Amboise sein muss. Der König erwartet mich. Bitte, bitte, helft mir.«
Und wieder klammerte sie sich an Charles und fuhr, ein wenig beruhigt, mit nicht mehr ganz so abgehackter Stimme fort:
»Ich bin Constance de La Trémoille und unterwegs mit Kardinal Jean de Villiers, der mich noch heute zum König bringen soll.«
Der Wind presste sie aneinander, und wenn auch der Regen aufgehört hatte, standen sie doch mit den Füßen im Schlamm, und der Saum von dem schönen scharlachroten Kleid, das die Demoiselle de La Trémoille trug, schleifte kläglich durch den Dreck.
»Kann dieses Rendezvous mit dem König nicht ein bisschen warten, schöne Demoiselle?«, fragte Charles mit einem Anflug von Spott in der Stimme.
Sicher war es weder der richtige Ort noch die richtige Zeit für eine derartige Bemerkung, aber Charles d’Angoulême amüsierte sich einfach prächtig über seine Frage, bis der Sturm ein Ende seines Umhangs der Demoiselle de La Trémoille ins Gesicht schlug.
Sie versuchte den dicken, nassen Stoff loszuwerden, der ihr das Gesicht verdeckte, und sagte mit ängstlicher Stimme:
»Die Königin bereitet wohl meine Hochzeit vor, deshalb muss ich dem König meine Zustimmung geben, damit er alles Weitere in dieser Angelegenheit veranlassen kann.«
Charles lächelte erfreut. Dann war diese junge Person also noch ledig. Er wartete, bis der Wind ein wenig nachließ, griff nach den Enden seines Umhangs und versuchte sie an sich zu drücken.
»Und wen sollt Ihr heiraten, Demoiselle?«
»Einen Mann von Rang, der mir aber nichts sagt und den ich nicht kenne. Also habe ich beschlossen, mir meinen Ehemann selbst auszusuchen.«
Obwohl der Sturm nicht nachließ und sie weiter mit aller Gewalt aneinanderdrückte, brachte Constance de La Trémoille ein wenig Abstand zwischen sie beide; sofort drang der eisige, feuchte Wind mit Wucht unter ihr dünnes Samtcape.
»Ich habe Euch um Hilfe gebeten, mein
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