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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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seiner Abreise die restlichen Dachziegel herunterfegen und die Dienstboten, die auf den Hängeböden schliefen, mit nassen Füßen aufwachen lassen, ehe sein Entschluss feststand.
    Angesichts dieser fatalen Zustände gab es diesmal keinen Ausweg mehr, und am Morgen händigte die betagte Marguerite de Rohan dann auch ihrem Sohn den übrigen Familienschmuck aus, damit er ihn zu Geld machen sollte.
    Obwohl der Wind ziemlich stark blies und die letzten Blätter von den Bäumen fegte, nahm Pardaille die Straße nach Orléans in gestrecktem Galopp.
    Das Pferd des Grafen d’Angoulême war zwar schon gute fünfzehn Jahre alt, lief aber noch immer wie ein junger Hengst und verlangte abends nicht mehr als gutes Futter und einen warmen, trockenen Stall samt einigen Stunden Ruhe. Pardaille war wie sein Herr – sobald es Tag wurde, war er wieder munter und ausgeruht.
    Nach einem besonders heißen Sommer war dieser Herbst verregnet und stürmisch.
    Seit der Wind aufgekommen war, hatte Pardaille sein Tempo etwas verlangsamt, aber nur so viel, dass seine Hufe auf dem aufgeweichten Weg immer noch seltsam hohl klatschten.
    Der düstere Himmel hellte kaum auf, und der Sturm tobte Charles um die Ohren. Er ritt mit verhängtem Zügel und schmiegte sich so eng an den tropfnassen Rücken von Pardaille, dass er ihn mit seinem schutzlos wirkenden Körper zu schützen schien.
    Bei Orléans war die Loire weiträumig über die Ufer getreten, und die angrenzenden Flächen waren schon seit Tagen überschwemmt; dem Betrachter bot sich der Anblick eines schlammigen Wassers, das unvermittelt seinen Lauf änderte und alles mitnahm, was ihm in den Weg kam: Böschungen, Bäume, Furten, Brücken und Anlegestellen. Nichts konnte diesem Ansturm mehr standhalten.
    Der Sturm peitschte Charles’ Rücken, und eine Böe war so heftig, dass er zur Seite rutschte und Pardaille aus dem Gleichgewicht brachte. Das Pferd brauchte einige Zeit, bis es zu seinem gewohnten Rhythmus zurückgefunden hatte.
    Charles und Pardaille waren es gewohnt, bei jedem noch so schlechten Wetter unterwegs zu sein und hatten schon oft genug bewiesen, dass sie sich davon nicht aus der Ruhe bringen ließen.
    »Lauf, mein Guter«, sagte Charles und klopfte seinem Pferd liebevoll auf den Hals, »Orléans haben wir hinter uns, dann ist es nicht mehr weit nach Blois. Wenn du willst, können wir uns an einem trockenen Plätzchen ein bisschen ausruhen. Und wenn die Wege nicht zu schlecht sind, könnten wir noch heute Abend in Amboise sein. Was hältst du davon, Pardaille? Im Stall vom Schloss wartet schmackhafter Hafer auf dich, und ich weiß genau, dass es dir da gut gehen wird.«
    Damit hätte er auch ein ganzes Pferdegespann aufmuntern können, aber kaum hatte er das gesagt, als Pardaille stolperte und sich plötzlich auf der anderen Straßenseite wiederfand. Er musste auf der Stelle stehen bleiben, um nicht in den Graben zu stürzen.
    »Zum Teufel! Was für ein verfluchtes Wetter!«, schimpfte der Graf und sprang vom Pferd.
    Ein eisiger Wind fuhr ihm unter den Umhang, hob seinen Mantel hoch und drang bis unter sein Wams, so dass er das unangenehme Gefühl hatte, sein Körper würde zu Eis erstarren.
    Er nahm die Zügel, um das Pferd wieder in die Mitte der Straße zu führen, rutschte aber in dem dicken Schlamm aus und fand sich bis zu den Waden in einem zähen, schwarzen Morast wieder, in den er immer tiefer versank, während ein neuer sintflutartiger Regenguss die beiden bis auf die Knochen durchnässte.
    »Bitte, Pardaille, mach schon! Zieh mich da raus! Meine Füße stecken in diesem stinkenden Schlamm fest. Los doch, zieh! Mehr! Ja, so ist’s gut!«, sagte er und befreite seine Beine, die bis zu den Hüften mit klebrigem Schlamm beschmiert waren.
    Auch Pardailles Hufe und Beine waren dreckverschmiert, aber der strömende Regen wusch sie schnell wieder sauber.
    »Wenn wir nicht bis zum Hals im Schlamm versinken wollen, können wir nicht länger am Flussufer entlangreiten.«
    Der Regen prasselte wütend auf den Boden, und der Sturm wurde von Sekunde zu Sekunde stärker. Die Loire war gefährlich aufgewühlt, und Charles konnte nicht einmal mehr die Furt finden, die sich eigentlich am Ortsende von Orléans befand.
    »Hier kommen wir nicht durch, wir nehmen diese Kurve und versuchen es dann von der anderen Seite«, meinte er und beobachtete die Fluten, die wie ein entfesseltes Meer tobten. »Mein lieber Pardaille, ich fürchte, das Futter, das ich dir vorher versprochen habe, wird

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