Die Seidenstickerin
fühlt.«
»Wäre es auch möglich, dass Ihr mich vor der Werkstatt von Meister Coëtivy aussteigen lasst?«
»Ich glaube, auch diesen Wunsch kann ich erfüllen.«
Aber Alix war noch längst nicht mit Kardinal de Villiers fertig, der so einen hilfsbereiten Eindruck machte. Deshalb hielt sie es für besser, wenn sie gleich erfuhr, woran sie mit ihm war.
»Könnt Ihr mir vielleicht auch helfen, wenn Herr Coëtivy mich wieder gefangen nehmen will?«
»Warst du denn schon einmal gefangen?«
»Ja! Das ist vier Jahre her.«
»Da musst du aber noch sehr jung gewesen sein. Wie alt warst du damals?«
»Zehn.«
»Also bist du jetzt vierzehn. Und Jacquou liebt dich?«
»Wir wollen so schnell wie möglich heiraten.«
»Dafür braucht ihr aber einen Dispens! Und wer soll euch den geben, wenn Jacquous Vater nicht einverstanden ist?«
»Herr Coëtivy muss uns nicht sein Einverständnis geben, weil er nie irgendjemand verraten hat, dass er der Vater von Jacquou ist. Dazu müsste er schon die ganze Geschichte noch mal von vorn anfangen, wenn er das Recht dazu haben will, und allen sagen, dass Jacquou sein Sohn ist.«
»Da hast du allerdings Recht. Du bist ein kluges Mädchen, und das gefällt mir. Ich will mich mit Jacquou treffen und prüfen, ob er es ernst mit dir meint, ehe ich dir weiterhelfe.«
»Vielen Dank, Hochwürden!«
Die beiden Mädchen fielen Bertille um den Hals und verabschiedeten sich von ihr, wobei sie auch herzliche Grüße und Dank an Pierrot ausrichten ließen, der nicht vor Einbruch der Nacht zurück sein würde. Dann setzte sich die Kutsche in Bewegung.
Constance, Alix und der Prälat hatten es sich in der Kabine, die mit rotem Samt und goldenen Nägeln ausgeschlagen war, bequem gemacht.
»Wie kommt es, dass dir Jacquou sein Geheimnis anvertraut hat?«, wollte der Prälat von Alix wissen. »Von der Gräfin weiß ich, dass er für gewöhnlich zu diesem Thema schweigt.«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Willst du sie mir erzählen?«
Alix erzählte immer gern und ausführlich, wie sie ihren Jacquou kennen gelernt hatte, und Hochwürden de Villiers hörte sich die Geschichte bis zum Schluss an.
»Dann bist du also eine Waise?«
»Ja! Aber ich habe für Königin Anne in Meister Yanns Werkstatt gearbeitet. Ich kann Blumenmuster für die Stickereien mit dem feinen Faden aus Arras zeichnen. Ich habe sogar schon Hermeline gezeichnet, die auf die Wäsche, die Tischtücher und die Kissen der Königin gestickt wurden. Eines Tages werde ich ein Einhorn zeichnen und es mit Goldfaden weben.«
»Mit Goldfaden! Warum denn ausgerechnet mit Goldfaden? Es gibt so viele schöne Garne zum Weben.«
»Aber Gold überzeugt einfach am besten. Mit Gold kann man es weiter bringen, Hochwürden.«
»Du bist ganz eindeutig ebenso klug wie weitsichtig. Jacquou kann sich wirklich beglückwünschen, dass er an dich geraten ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich in eurem Sinn entscheiden werde, wenn ihr wirklich heiraten wollt. Die Schwierigkeit ist nur, dass du zu jung bist – und dass du keine Prinzessin bist, die man schon in der Wiege mit ihrem Prinzen verheiratet.«
Dann rückte er näher zu Alix und flüsterte ihr ins Ohr:
»Bist du denn schon eine richtige Frau?«
Alix wurde ein wenig rot, antwortete aber sofort:
»Ja, Hochwürden, seit zwei Jahren.«
»Dann spricht, den erforderlichen Dispens vorausgesetzt, nichts gegen eure Heirat.«
Alix seufzte tief, und als ihr klar wurde, welch unerhörtes Glück sie eigentlich hatte, fragte sie vorsichtig:
»Warum tut Ihr das alles für mich, Hochwürden?«
Er zögerte und warf Constance einen Blick zu, die aber von dem Geschaukel ein wenig eingenickt war. Obwohl es in Strömen regnete, ließ Anselme die Pferde nämlich in gestrecktem Galopp laufen, um noch am selben Abend Tours zu erreichen.
»Weil ich seiner Mutter Léonore, ehe sie in meinen Armen starb, versprochen habe, dass ich auf Jacquou aufpassen würde und dafür sorgen wollte, dass er glücklich wird.«
Und als sie ihn erstaunt ansah, fuhr er noch leiser fort:
»Und dieses Versprechen werde ich auch halten.«
Dann rückte er noch näher zu Alix und sagte wieder lauter:
»Ich muss aber schon sagen, mein Kind, dass es ein großes Privileg für Jacquou war, von Meister Coëtivy erzogen worden zu sein; er hat ihm die wichtigen Werte wie Anstand und Fleiß und das Streben nach Erfolg beigebracht. Deshalb glaube ich kaum, dass er einverstanden sein wird, wenn sein Sohn ein einfaches
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