Die Seidenstickerin
letzten Sonnenstrahlen. Verträumt strich Louise mit den Fingern über den rauen Stein und zerbröselte die welken Blätter, die in dunklen Girlanden von den brüchigen Gesimsen fielen.
Ihr Blick schweifte in die Ferne, ehe er zu dem großen Eingangstor mit seinem verzierten Portal zurückkehrte.
Wie viele Jahre war es jetzt schon her, dass sie in einem ziemlich unrühmlichen Auftritt nach Cognac gekommen war, und Antoinette und Jeanne sie bereitwillig unter ihre Fittiche genommen hatten, ohne deshalb ihre Sorglosigkeit und ihre Lebenslust zu verlieren. Denn dieses zwölfjährige Mädchen, das nur Bücher im Kopf hatte, konnte der Liebe nicht gefährlich werden, die Charles d’Angoulême diesen beiden Frauen schenkte.
An dem Morgen, an dem Louise hier eingetroffen war, duftete der Park nach Sommerblumen und regennasser Erde. Geranien, Hortensien und Stockrosen blühten in einer Farbenpracht, die sie sofort verzaubert hatte. Und der Turm des alten Schlosses zeichnete sich stolz vor dem gnadenlos blauen Himmel ab, den keine einzige Wolke trübte. Eine heiße Jahreszeit ohne Unwetter kündigte sich an und verhieß mit reicher Ernte an Obst und Gemüse einen sorglosen Winter.
Auf ebendieser steinernen Freitreppe, auf der sie sich damals plötzlich wiedergefunden hatte, stand sie dann diesen Fremden gegenüber, von denen sie nur einen Namen kannte, nämlich den von Charles d’Angoulême, ihrem zukünftigen Gatten. Louise hatte den Blick gesenkt und ängstlich auf den Boden geschaut, ohne auch nur einen Ton von sich zu geben. Ihre Bewegungen waren linkisch und ungeschickt und nicht an Zärtlichkeitsbekundungen gewöhnt; sie fürchtete sich eher vor den Liebkosungen und Küssen, mit denen sie die beiden jungen Frauen überhäufen wollten.
Und der Graf hatte bestens gelaunt aus vollem Hals gelacht, während er mit fordernden Händen über die Hüften seiner beiden Gefährtinnen strich. Seine Augen, die vor Schalk nur so blitzten, sein voller Mund mit den sinnlichen Lippen und seine langen, schmalen zärtlichen und kraftvollen Hände weckten in Louise Gefühle, die ihr noch unbekannt waren.
»Ich sehe schon – in ein, zwei Jahren, vielleicht auch erst in drei, wird es reif sein, mein kleines Weibchen!«, rief er ungeniert.
Dann küsste er Jeanne auf den Hals, nahm Antoinette um die Taille und unterstrich diese Feststellung noch mit einer weiteren, ziemlich schlüpfrigen Bemerkung.
»Ich verlass mich darauf, meine Prinzessinnen, dass ihr sie geduldig in der Kunst unterweist, die ihr so hervorragend beherrscht.«
Und was hätten Jeanne Conte und Antoinette de Polignac, die munteren Maitressen von Charles d’Angoulême, auch dagegen haben sollen, diese junge Frau, die ihnen Anne de Beaujeu zu diesem Zweck geschickt hatte, in die Geheimnisse der Liebe einzuweihen.
Die beiden jungen Frauen wiesen Louise nun zwar in die Grundlagen dieser besonderen Kunst ein, behielten sich aber auch einige Überraschungen vor, so dass die junge Louise einige Monate später erstaunt fragte, warum sie denn noch immer nicht guter Hoffnung sei.
»Keine Sorge, Madame, Euer Gatte Charles will sich unbedingt Zeit lassen. Aber seid unbesorgt, er wird Euch keinesfalls vergessen. In ein paar Jahren macht er Euch einen Sohn, so wie er uns beiden zwar keine Jungen, aber doch sehr hübsche Töchter gemacht hat.«
Antoinette hatte nämlich zwei uneheliche Kinder, die nur wenig jünger waren als Louise. Und Jeannes Tochter war noch ein Säugling, den Dame Andrée, die Schlossamme, stillte.
All diese Ungereimtheiten gingen der kleinen Louise durch den Kopf, was dazu führte, dass sie heikle Fragen stellte.
»Kann Charles denn über all das entscheiden?«
Sie musste sich mit den Antworten zufriedengeben, die man ihr gab, und dachte angestrengt darüber nach, ohne das Geheimnis der Geburt zu entschlüsseln. Zu jung und viel zu wenig verliebt in ihren betagten Gatten litt sie dennoch weniger als die Jahre zuvor, die sie nur als traurig in Erinnerung hatte – eine einsame Kindheit ohne Zuwendung und ohne Freude.
Ihre Mutter, Marguerite de Bourbon, war bei Louises Geburt so krank, dass sie bald den letzten Atemzug tat. Zur gleichen Zeit war deren Mann, der schöne Philippe de Bresse, Bruder von Königin Charlotte, der Gattin von Louis XI., in Frankreich unterwegs auf der Suche nach kleinen Aufständen, die er anzetteln könnte, bis er dann auch starb und seiner Tochter nichts als Schulden hinterließ.
So kam es, dass Louise eines Tages mit ihrem
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