Die Seidenstickerin
kleinen Gepäck am französischen Hofe erschien, an dem Anne de Beaujeu, die Tochter von Louis XI. herrschte, der kurz zuvor auf seinem Schloss in Plessis-lès-Tours das Zeitliche gesegnet und ihr die Regentschaft über das Königreich hinterlassen hatte, bis Thronfolger Charles großjährig war.
So sah sich die kleine Savoyardin mit einem Mal der Autorität, wenn nicht sogar der Willkür dieser strengen Frau ausgesetzt. Louise wuchs bei der gefürchteten Frau auf, die ihr große Angst machte, ihr aber auch, wie sich zeigte, solide Grundlagen vermittelt hatte, die sich für ihr späteres Leben im Dienste Frankreichs als sehr nützlich erweisen sollten.
Weil sich das Mädchen vor der unmäßigen Autorität der Regentin fürchtete und ihr misstraute, hielt es sich lieber an deren alten Mann, Pierre de Beaujeu, einen Abkömmling der Bourbonen, der allerdings in Gegenwart seiner gestrengen Gattin jeden Sinn für Gerechtigkeit und kritisches Denken verlor.
Thronfolger Charles, dem letztgeborenen Sohn von Louis XI., begegnete Louise vorsichtig und schweigsam und ertrug mit der gleichen Duldsamkeit auch Suzanne, die Tochter von Anne de Beaujeu, die reiche Erbin der Bourbonen.
Abgesehen von Annes Strenge litt Louise eigentlich nur wirklich unter ihrer Armut, einem erheblichen Nachteil, der ohne ihre wache Intelligenz zu ernsthaften Minderwertigkeitsgefühlen geführt hätte. Doch durch ihre Intelligenz und ihr unbewusstes Streben, alles kennen lernen und verstehen zu wollen, hob sie sich unweigerlich von den anderen Kindern ab.
Die arme unscheinbare und zurückgebliebene Suzanne war keine Konkurrenz für sie – weder beim Lernen noch beim Spiel. Sie plapperte am liebsten dummes Zeug mit den Dienstmädchen, die ihr natürlich das Gefühl von Überlegenheit gaben.
Louise hingegen war nachdenklich, bescheiden und geduldig und lernte mit großem Vergnügen. Sie liebte es zu lesen und verschlang alle Bücher und Manuskripte aus der Bibliothek der Beaujeus. Dafür kritisierte sie Anne ausnahmsweise nicht, weil sie viel zu sehr bedauerte, dass ihre Tochter Louise so wenig ähnelte.
Konnte die Regentin andererseits überhaupt die unbewusste Verteidigungshaltung dieses Kindes verstehen, das schon immer daran gewöhnt war, auf sich selbst gestellt zu sein?
Anne versuchte also über Lektüre und Unterricht das allzu schweigsame Mädchen zu gewinnen.
So war es kaum erstaunlich, dass Louise nach diesen frühen Jahren voller Strenge und Entbehrungen ihr Leben in Angoulême für harmonisch hielt, auch wenn es von einigen ehelichen Schwierigkeiten überschattet war.
Die ehrgeizige Tochter von Louis XI., deren Macht durch die Regentschaft über das Königreich beträchtlich zugenommen hatte, wollte sich jedenfalls nicht mit den Ängsten eines kleinen Mädchens aufhalten, das eigentlich zu Höherem geboren war.
Als Louise dann älter wurde und ihr Körper seine kindlichen Rundungen verlor, raunte sie ihr eines Morgens milde gestimmt zu:
»Wir finden bestimmt einen anständigen Provinzherrn für Euch. Ich kenne jedenfalls zwei oder drei, die in ihren fernen Grafschaften nur darauf warten dürften, Euch schon allein Eures Titels wegen zu heiraten.«
Dann hob sie ihr Kinn aus den schwarzen Falten ihrer Corsage, die sparsame Spitzen und eine zierliche Perlenkette schmückten, und fügte völlig ahnungslos hinzu:
»Eure hochherrschaftliche Abstammung wird das fehlende Vermögen dieses Herrn aufwiegen, worüber er sehr glücklich sein dürfte. Wie könnte er sich gegen eine Vereinigung seines verarmten Wappens mit den Titeln einer Tochter von Frankreich sträuben?«
Und diesmal wusste die Regentin Anne gar nicht, wie Recht sie behalten sollte! Aber die Zeit arbeitet immer für die nachdenklichen Menschen, und Louise gehörte zu denjenigen, die ihren Weg gingen. Am Ende dieser Verbindung wartete dann nämlich die Überraschung. Anne, die ihren Bruder überlebte, würde eines Tages erleben, dass ebendiese Louise als Regentin von Frankreich an die Reihe kam.
Jetzt hieß es aber noch abwarten, und das kluge Mädchen nahm die feinen Unterscheidungen sehr wohl wahr, die Anne de Beaujeu in ihren Vorschlägen anklingen ließ. Während sie für ihre eigene Tochter Suzanne de Bourbon die verrücktesten Pläne schmiedete, biss sich Louise auf die Lippen, hob den Blick zum Himmel und betete darum, dass dieser Gatte kein Ungeheuer sein möge.
Und als diese Zeit endlich um war, versuchte Louise, sie aus ihrem Gedächtnis zu streichen; umso mehr
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