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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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auf, als früh am nächsten Tag die Glocke der kleinen Kapelle, in der Antoinettes Tochter Madeleine bereits ihr Morgengebet verrichtete, läutete. Louise saß an ihrem Bett.
    »Wie geht es dem Grafen?«, wollte sie wissen und rieb sich schlaftrunken die Augen.
    »Der Doktor, seine Mutter und Antoinette sind bei ihm.«
    »Antoinette! Ist sie die Gräfin d’Angoulême?«
    Dann fiel ihr plötzlich ein, dass Louise am Vorabend von »meinem Gatten« gesprochen hatte.
    »Nein, das bin ich«, erklärte sie und fragte sich, warum wohl diese junge Frau Charles vor dem sicheren Tod gerettet haben mochte, als sie ihn von der Straße auflas.
    »Oh! Ihr seid also seine Frau! Warum seid Ihr dann nicht bei ihm?«
    »Weil sich seine Mutter und Antoinette besser um ihn kümmern können.«
    »Aha«, sagte Alix nur überrascht.
    »Nachdem Ihr vermutlich eine Weile bei uns bleiben werdet, wie mein Mann vorgeschlagen hat«, fuhr Louise fort und lächelte Alix an, »solltet Ihr vielleicht wissen, kleine Alix, dass Antoinette und Jeanne die Konkubinen des Grafen d’Angoulême sind.«
    »Oh!«, machte Alix und riss die Augen erstaunt auf.
    »Jetzt seid Ihr bestimmt entsetzt?«
    »Nein, ich würde nur nicht wollen … Ich könnte es nicht ertragen …«
    »Ihr könntet es nicht ertragen, dass Euch irgendetwas von Eurem Gatten trennt, und da habt Ihr natürlich tausendmal Recht. Aber dieser natürliche Wunsch ist von der Liebe bestimmt.«
    Jetzt nickte Alix. Damit war sie voll und ganz einverstanden.
    »Bei mir ist es aber nun einmal so, dass meine Kinder Vorrang vor Charles haben.«
    »Ihr habt Kinder?«
    »Ja, eine Tochter, sie heißt Marguerite, und François, einen Sohn. Er wird einmal König von Frankreich.«
    König von Frankreich! Was redete diese Frau da? Er sollte einmal König von Frankreich werden und lebte auf einem alten Schloss, das ein bisschen wie eine Ruine aussah. Alix kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und fragte sich, ob diese offenbar vornehme Frau vielleicht nicht ganz bei Sinnen war. Dabei wirkte sie aber sehr selbstsicher und fuhr jetzt mit gelassener Miene fort:
    »Die Konkubinen meines Mannes haben ebenfalls Kinder, und ich wollte, dass sie mit meinen zusammen aufwachsen, was auch dem Wunsch von Charles entsprach. Das ist die ganze Geschichte in wenigen Worten. Außerdem empfinde ich sehr viel für meinen Gatten. Ich respektiere ihn, und ich kenne meine Pflichten als Ehefrau, aber ich bin nicht in ihn verliebt.«
    Alix war jetzt nicht mehr ganz so verwundert. Natürlich konnte man nicht einen Mann lieben, der mehrere Frauen hatte, und der Graf d’Angoulême erschien ihr auf einmal reichlich verantwortungslos und leichtfertig. Sie musste plötzlich daran denken, wie verliebt Constance diesen Charles angeschaut hat, der sie sichtlich verführen wollte. Wie viele Frauen mochte er wohl beehrt haben?
    Louise kam zu ihr und nahm liebevoll ihre Hand.
    »Reden wir doch lieber von Euch? Was wollt Ihr denn machen, wenn Ihr Euer Kind zur Welt gebracht habt?«
    »Ich will nach Poitiers, weil ich dort bei dem Webermeister Antonin Noailles arbeiten soll.«
    Sie zögerte kurz und schüttelte dann den Kopf.
    »Ich will dann aber auf jeden Fall zurück nach Tours. Jacquou kommt bald wieder. Er ist jetzt noch in Flandern, weil er dort seine Prüfung zum Webermeister ablegen muss.«
    »Weiß er denn, dass Ihr ein Kind erwartet?«
    »Nein«, sagte Alix und fuhr dann nach kurzem Abwägen fort.
    »Es ist nämlich so, dass sein Vater mich nicht will, aber Jacquou wird Webermeister, und dann kommen wir auch ohne ihn zurecht. Wir werden so leben, wie wir es wollen.«
    »Weber ist ein schöner Beruf«, meinte Louise und sah Alix nachdenklich an.
    »Und ich werde auch Weberin.«
    »Das ist schon seltsam, Alix, stellt Euch vor, ich habe nämlich ein ganz besonderes Verhältnis zu jungen Weberinnen! Soll ich Euch erzählen, warum?«
    Als Alix zustimmend nickte, begann sie die Geschichte:
    »Als ich noch ein kleines Waisenmädchen war, das man gerade mit dem Grafen d’Angoulême verheiraten wollte, habe ich bei Anne de Beaujeu, der französischen Regentin, gelebt, die für meine Erziehung aufkam. Eines Tages hatte ich eine seltsame Begegnung, als ich im Park von Schloss Bourges spazieren ging, von dem es hieß, dass die Regentin dort in dem Hauptturm eine junge Frau gefangen hielt. Sie war wohl die Tochter eines Webers, der mit Louis d’Orléans, der mittlerweile König von Frankreich geworden war, am ›Verrückten Krieg‹ teilgenommen

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