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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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»hast du Hilfe geholt.«
    »Gehört das Pferd Euch, mein Herr?«
    »Ja, das ist Pardaille«, antwortete der Mann so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte.
    Die Kleidung des Mannes war zwar nicht hochherrschaftlich, aber doch recht vornehm. Das war ganz bestimmt kein Räuber.
    »Ich würde Euch gern helfen, aber könnt Ihr denn aufstehen?«
    »Ich bin viel zu schwach. Wo sind wir überhaupt?«
    »Es ist nicht mehr weit bis Poitiers. Wo wolltet Ihr denn hin, mein Herr?«, fragte sie und beugte sich wieder über ihn.
    »Aber Ihr habt ja Fieber! Ihr müsst so schnell wie möglich verarztet werden. Ist es noch weit bis zu Euch? Oder wollt Ihr vielleicht, dass wir Euch ins nächste Dorf bringen?«
    Weil er keine Antwort gab, versuchte sie es weiter:
    »Wer seid Ihr denn, mein Herr?«
    »Ich bin Graf Charles d’Angoulême und nach einer langen Reise auf dem Heimweg.«
    »Der Graf d’Angoulême!«, rief Alix, »aber dann kenne ich Euch ja. Ihr habt uns aus dem Schlamm gerettet, als wir letzten Winter von den Überschwemmungen überrascht wurden. Könnt Ihr Euch noch erinnern? Ich war mit Constance de La Trémoille und Monseigneur Jean de Villiers unterwegs; die beiden wollten nach Amboise, und ich nach Tours.«
    »Ja, jetzt erinnere ich mich.«
    Er wollte noch etwas sagen, war aber so erschöpft, fiebrig und matt, dass er nicht einmal mehr an die hübsche Constance denken konnte, die er damals verführen wollte. Weil er schon zu viel geredet hatte, bekam er nun einen heftigen Hustenanfall.
    »Ich flehe Euch an, lasst mich nicht hier auf der Straße sterben! Ich muss irgendwie auf mein Pferd kommen. Pardaille kennt den Weg zu meinem Schloss, er wird mich hinbringen.«
    »Aber so viel Kraft habe ich nicht«, wandte Alix ein, »wie soll ich Euch denn auf Euer Pferd kriegen?«
    Irgendwie gelang es Charles d’Angoulême, den Oberkörper ein wenig aufzurichten, und Alix stützte ihn von hinten ab.
    »So ist es gut«, sagte sie, »und jetzt müsst Ihr versuchen aufzustehen.«
    Der Graf hatte endlich aufgehört zu husten; jetzt hob er ein wenig den Kopf und murmelte mit schwacher Stimme:
    »Komm her, Pardaille, und leg dich hin. Ich muss auf deinen Rücken.«
    Da knickte das Pferd seine Beine ein und legte sich auf den Boden. Mit Unterstützung von Alix gelang es dem Grafen, sich auf den Pferderücken zu ziehen. Er lag auf dem Bauch, und je ein Arm und ein Bein hingen rechts und links an dem Pferd herunter.
    »Bindet mich mit der Pferdeleine fest, sonst rutsche ich zur Seite und falle wieder runter«, stammelte er.
    Alix gab sich alle Mühe, schwitzte und schimpfte vor sich hin, und hatte den Grafen dann schließlich irgendwie auf Pardaille festgebunden.
    »Wo wolltet Ihr eigentlich hin?«, fragte er sie leise.
    »Ich bin auf dem Weg nach Poitiers, wo ich Arbeit suchen will.«
    »Bringt mich doch lieber nach Cognac zurück. Meine Frau wird Euch sehr dankbar sein und Euch willkommen heißen. Bestimmt hilft sie Euch, vielleicht könnt Ihr ja sogar auf dem Schloss arbeiten, wenn Ihr wollt.«
    Die lange Tirade hatte ihn völlig erschöpft, und er fing wieder an zu husten. Alix wollte ihm antworten, sparte sich das dann aber, als sie sah, dass ihn seine letzten Kräfte verließen.
    Auf dem Schloss arbeiten! Hielt sie der Graf d’Angoulême etwa für ein Dienstmädchen? Das wäre ja noch schöner! Aber eine Antwort hätte nichts genützt; der Graf war soeben in eine Ohnmacht gefallen, aus der er erst wieder in Gegenwart seiner Frau aufwachen sollte.
    Zum Glück hatte Charles Recht gehabt, und Pardaille kannte wirklich den Weg zum Schloss.
     
    Eine frische Brise war aufgekommen. Der Herbst fegte die Blätter von den Bäumen, und eine blasse und ziemlich matte Sonne ließ noch die letzte Ernte reifen.
    Der alte Schlossturm von Cognac zeichnete sich vor dem grauen Morgenhimmel ab. Auf dem ganzen Weg hatte Alix keine einzige Pause eingelegt – ein oder zwei Tage mehr und der arme Graf hätte seine Güter nie wiedergesehen.
    Alix war erschöpft, müde und fast ein bisschen traurig, und ihr Zustand verbesserte die Situation auch nicht gerade. Gedankenversunken saß sie auf Amandine, die brav hinter Pardaille herlief, hatte Hunger und Durst und empfand ihren dicken Bauch als zusätzliche Last.
    Als sie kurz vor Cognac aus einem leichten Schlaf aufwachte, hatte sie gleich die Schlossmauer entdeckt, und Pardaille führte sie auch genau dorthin, gefolgt von Amandine, die im Gegensatz zu ihrer Herrin noch recht munter wirkte.
    Sie ritten

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