Die Seidenstickerin
einmal kurz vorbei, um ihren guten Willen zu zeigen. Dabei verschwand sie immer rechtzeitig wieder, ehe sie Fragen hätte stellen können, die in dieser Situation vielleicht unangebracht gewesen wären. Die Tränen, die ihr in die Augen stiegen, wischte sie verstohlen weg, und bat dann bald darum unter dem Vorwand, den Kranken nicht zu sehr anstrengen zu wollen, sich wieder entfernen zu dürfen.
In diesen sorgenvollen Momenten, in denen die Stille schwer auf ihnen lastete, spürte Louise, dass Antoinette gern allein bei Charles geblieben wäre, der schon so viele Jahre ihr Geliebter war.
Zweifellos war sie es, die ihn von den drei Frauen noch am meisten liebte. Seit zwanzig Jahren teilte sie sein Leben, sein Bett, seine Freuden und seine Sorgen und hatte mehr mit ihm erlebt als Louise und Jeanne zusammen.
Aber wie hätte man diesen Herzenswunsch der alten Gräfin erklären sollen, die klagend und hoffnungslos den letzten Atemzug ihres Sohnes erwartete? Wie hätte man sie auffordern sollen, das Zimmer von Charles zu verlassen, ohne sie noch mehr zu verwirren? Ihr begreiflich machen sollen, dass Antoinette sich danach sehnte, noch einmal ihre frischen Lippen auf den ausgetrockneten Mund ihres Geliebten zu drücken.
Als Louise das Zimmer betrat, in dem Dame Andrée damit beschäftigt war, die an diesem Abend außergewöhnlich unruhigen Kinder zum Schlafen zu bringen, traf sie dort auf Antoinette.
»Unsere Mutter ist gerade eingeschlafen«, sagte sie zu ihr und beugte sich zu ihren Kindern, um ihnen einen Gutenachtkuss zu geben. »Ich habe ihr eine starke Dosis Eukalyptus verabreicht; damit müsste sie eigentlich ein paar Stunden schlafen. Wollt Ihr nicht vielleicht allein zu Charles gehen? Ich merke doch, wie sehr Ihr Euch das wünscht.«
Antoinette sah sie müde an. Weil sie in den vergangenen Tagen kaum geschlafen hatte, hatte sie dicke Ringe unter den Augen, und ihre Wangen waren eingefallen von dem bisschen Essen, das sie zu sich nahm – man sah ihr den Kummer förmlich an, der an ihr nagte und sie vorzeitig altern ließ.
»Ich danke Euch, Louise! Ihr seid sehr gut zu mir, ich bin ganz gerührt.«
Louise nahm Antoinettes Hände, die sich wie tot anfühlten.
»Ich weiß, wie sehr Ihr an ihm hängt, meine liebe Freundin, viel mehr als ich. Eigentlich hätte er Euch heiraten müssen. Und ich sollte irgendwo anders sein, vielleicht bei einem anderen Mann.«
»Ihr seid ja noch jung, Louise. Eines Tages werdet Ihr diesem anderen Mann begegnen.«
Louise antwortete nicht und gab Antoinette einen sanften Schubs.
»Macht schon, geht jetzt, die Gräfin hat so einen leichten Schlaf, dass sie auch trotz des Schlaftrunks jederzeit aufwachen kann. Und sagt Eurem alten Geliebten, der immerhin auch mein Gatte ist, alles Liebe, was Ihr für ihn empfindet. Ich bin überzeugt, er kann Euch hören.«
Aus Angoulême hatte man zwei Doktoren kommen lassen, die sich beide im Schloss eingerichtet hatten. Ihre widersprüchlichen Diagnosen irritierten die vier Frauen, die daraufhin einen dritten Arzt hinzuzogen. Aber selbst wenn es zehn oder zwölf gewesen wären – der Zustand des Kranken verschlechterte sich immer mehr. Die Ärzte sahen sich nur sorgenvoll an und konnten auch nichts anderes tun, als traurig den Kopf zu schütteln. Gegen diesen Zustand waren sie vollkommen machtlos.
Der Kranke nahm schon lange nur noch Flüssigkeit zu sich, und die musste man ihm einflößen, was Antoinette nur mit größter Mühe gelang. Wenn er dann aber wieder sein Gesicht verzog und die Zähne wie im Krampf zusammenbiss, waren ihre Anstrengungen ganz umsonst, und die Flüssigkeit lief dem Sterbenden das Kinn hinunter.
Machtlos wie sie waren, konnten die Ärzte nur feststellen, dass das Ende unmittelbar bevorstand, und der Priester, der auch schon seit einigen Tagen bei dem Kranken wachte, hatte ihm die Letzte Ölung gegeben und betete um die Rettung der Seele des Verstorbenen.
Als dann ein neuer ungewisser Morgen für Louise und ihre Familie anbrach und durch die Fenster des alten Schlosses schimmerte, tat Graf Charles d’Angoulême seinen letzten Atemzug.
12
Kaum war der Graf d’Angoulême gestorben, als sich Alix auf einmal auch sehr krank und schwach fühlte. Die langen, anstrengenden Wanderungen, die sie auch schon ohne Amandine unternommen hatte, waren ihrer Gesundheit bestimmt nicht zuträglich gewesen, die nicht zuletzt wegen ihrer Schwangerschaft sehr angegriffen war.
Weil man aber damals äußerst wenig über die
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