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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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war weitaus strenger mit Herman als Fygen, und sie war sich nicht sicher, ob Peter es bei einer Ermahnung belassen oder ob er Herman schlicht den Hosenboden strammgezogen hätte.

8. Kapitel
    F ygen schluckte trocken. Es war staubig auf der Straße nach Norden. Das schwere Ochsengespann zog unbeirrbar seine Last die tiefen, ausgefahrenen Furchen der Fahrstraße entlang. Bei jedem größeren Schlagloch wurden die Fahrgäste durchgeschüttelt, und der Karren ächzte und rumpelte zum Gotterbarmen. Den Fuhrmann, einen stiernackigen, grobschlächtigen Kerl aus der Pfälzer Gegend, schien das Holpern ebenso wenig zu erschüttern wie sein Vieh. Seit Stunden schon hielt er den massigen Kopf stur nach vorn gerichtet. Fygen wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Der Staub der Straße hatte sich ihr auf die Lippen gelegt, sich in den langen Wimpern verfangen, drang ihr bei jedem Atemzug in die Nase und knirschte zwischen den Zähnen. Nach dem langen, nasskalten Winter war nun, Anfang Mai, plötzlich die Sonne hervorgekommen und brannte bereits mit Macht vom Himmel, als wolle sie die Menschen vergessen machen, dass es je einen Winter gegeben hatte. Doch Fygen würde diesen Winter sicher nicht vergessen. Er hatte sich endlos lange hingezogen und ihnen allen gründlich die Laune verdorben. In den Gassen standen knietief Schlamm und Dreck, und ohne Not hatte kaum einer das Haus verlassen. Fygen war die Zeit besonders lang geworden, weil sie sehnsüchtig auf Peters Rückkehr wartete. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um diesen unnötigen Streit, der zwischen ihnen stand. So gut wie möglich hatte sie das Grübeln bekämpft, indem sie sich kopfüber in die Arbeit stürzte. Sie hatte einen weiteren Webstuhl angeschafft und noch ein Lehrmädchen eingestellt. Unermüdlich hatte sie von früh bis spät gearbeitet und noch abends bei Kerzenschein ihre Bücher geführt. Müde und erschöpft war sie dann spät in einen unruhigen Schlaf gesunken, um sich am nächsten Morgen erneut an die Arbeit zu machen.
    Fygen spähte in das offene Fuhrwerk, das ihnen entgegenkam. Zwanghaft hatte sie jedes Gefährt, das ihnen begegnet war, genau gemustert, denn es könnte ja sein, dass Peter bereits auf dem Heimweg wäre und sie geradewegs an ihm vorbeifahren würde. Doch viel Betrieb war nicht auf der Straße nach Neuss. Wieder schluckte Fygen trocken. Es war eng auf dem Karren. Dicht eingezwängt saß sie zwischen einem Packen Schafwolle und einer munter schwatzenden Matrone, die ihr bereits in der ersten halben Stunde ihrer gemeinsamen Reise die gesamte Geschichte ihres Lebens erzählt hatte. Die Redselige war auf dem Weg zu ihrer Tochter, welche ihr drittes Kind erwartete und dafür dringend Mutters Beistand benötigte.
    Fygen war erhitzt und wünschte sich nichts sehnlicher als ein kühles Bad in einem gepflegten Gasthof. Vor wenigen Stunden erst hatten sie die Stadt durch den Eigelstein, das am nördlichsten gelegene Tor in der kölnischen Stadtmauer, verlassen, und bereits jetzt sehnte sie sich nach einer Pause. Dabei hatte ihre Reise gerade erst begonnen. Doch schließlich war Fygen erleichtert, unterwegs zu sein. So hatte sie wenigstens das Gefühl, etwas zu tun und nicht weiter untätig und hilflos abzuwarten.
    Bereits Ende des März, spätestens in der Mitte des Aprils wollte Peter zurückgekehrt sein. Der März war zu Ende gegangen, und mit jedem Tag wuchs Fygens Sorge. Wieder und wieder malte sie sich aus, was Peter auf seiner Reise alles zugestoßen sein könnte: Sei es, dass er mit dem Schiff gekentert, von Räubern überfallen oder von schwadronierenden Landsknechten ausgeraubt und erschlagen worden war. Tagsüber wucherten ihre Gedanken zu immer neuen Schreckensbildern heran, und des Nachts wurde sie von bösen Träumen geplagt, um dann zu Unzeiten verstört und schweißgebadet aufzuwachen. Bei jedem Geräusch an der Haustür blickte sie hoffnungsvoll auf, ja, sie ließ sogar die Tür zu ihrer Werkstatt stets angelehnt, um nur ja nicht Peters Ankunft zu verpassen. Schließlich fand auch der April sein Ende, und der Mai begann. Fygen hatte das Gefühl, das Warten keinen weiteren Tag ertragen zu können. Doch zu ihrer Überraschung stand sie mit diesem Gefühl nicht allein da. Es war früh am Morgen, als Eckert auf sie zutrat und mit ernster Miene um ein Gespräch bat. Während er ihr in Peters Kontor folgte, fragte sie sich bange, welche Katastrophe nun über sie hineinbrechen würde.
    Eckert baute sich vor Fygen auf, das

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