Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Bürgerrecht erworben hatte, eine großzügige und bequeme Unterkunft. Vornhuis hatte die gesamte obere Etage des Wohnhauses angemietet, und die Wirtin sorgte für ihr leibliches Wohl. Sie war entzückt, ausnahmsweise einen weiblichen Gast beherbergen zu dürfen, so dass sie es Fygen an nichts fehlen ließ. Und nachdem Fygen ein ausgiebiges Bad genossen und ein opulentes Frühstück mit Eiern und Gebratenem zu sich genommen hatte, fühlte sie sich so weit wiederhergestellt, dass sie bereit war, es mit dieser Stadt aufzunehmen. Sie war fest entschlossen, London ihren Mann notfalls mit Gewalt abzutrotzen.
10. Kapitel
F ygen hätte nicht erwartet, die ehrwürdige Gildhall so bald von innen zu sehen. Ein mausgesichtiger Gehilfe hatte sie in das luxuriös mit kostbaren Teppichen und schweren, geschnitzten Möbeln ausgestattete Kontor von Jonathan Miles geführt, des englischen Äldermannes, der die Autorität über alle Niederlassungen der Hanse in England innehatte. Er war, obwohl von den Kaufleuten vorgeschlagen, vom englischen König in sein Amt eingesetzt und stand als solcher dem deutschen Äldermann, dem die faktische Leitung des Stalhofes oblag, vor. Jeder noch so kleine Vorfall, der die Belange ausländischer Kaufleute betraf, wurde ihm zur Kenntnis gebracht, und sein Wort war entscheidend in jeder dieser Angelegenheiten.
Nur Vornhuis’ guten Beziehungen war es zu verdanken, dass sich Miles dazu herabgelassen hatte, die Nichte des Hansekaufmannes zu empfangen. War es doch Frauen prinzipiell untersagt, den Stalhof zu betreten, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Da nämlich die meisten Englandfahrer Junggesellen waren, um deren Moral man sich sorgte, sollte diese Bestimmung verhindern, dass Dirnen im Hofe ihren Geschäften nachgingen.
Wäre es nach Fygen gegangen, sie hätte auf die Bekanntschaft mit Miles gerne verzichtet. Doch nach reiflicher Überlegung war man übereingekommen, dass ein Gespräch mit diesem Herrn der einzig gangbare Weg wäre, und Fygen würde all ihren Mut aufbringen müssen, um ihre Rolle überzeugend zu spielen.
Noch am Tag ihrer Ankunft war Vornhuis in den Stalhof geeilt, um dort vorsichtig erste Erkundigungen über Peters Verbleib einzuholen. Auch Eckert hatte sich auf den Weg gemacht und im gesamten Viertel Dowgate nahezu jede Herberge und unzählige Schankstuben aufgesucht, vornehmlich diejenigen, in denen Peter und er bei ihren früheren Besuchen abzusteigen pflegten.
Zur Untätigkeit verurteilt, war Fygen der Tag zwischen Bangen und Hoffen unendlich lang geworden, und sie versuchte, sich gegen das zu wappnen, was sie nun vielleicht erfahren würde. Doch sie wollte jede Kleinigkeit wissen, die Peters Verschwinden betraf, wie schlimm sie auch wäre, denn nichts war schrecklicher als diese nagende Ungewissheit.
Eckert war der Erste, der zurückkehrte. Und er kam tatsächlich mit Neuigkeiten, sehr schlimmen Neuigkeiten. Denn Peter war bereits kurz nach seiner Ankunft in London verhaftet worden.
Fygen bemühte sich, die Fassung zu wahren. Schwer ließ sie sich in einen Stuhl sinken und lauschte wie betäubt Eckerts Bericht, als dieser mit seltsam versteinertem Gesicht zu erzählen begann, was er in den Schänken erfahren hatte. »Schuld hat dieser junge Tölpel, den Peter an meiner Stelle mit auf die Reise genommen hat. Dieser Bursche konnte sich wohl vor Übermut nicht beherrschen und suchte noch am ersten Abend einen Bierausschank auf, in dem er sich haltlos betrank. In seinem Suff begann er zu prahlen, was für ein mutiger und furchtloser Mann sein Herr wäre, der frech genug war, mit einer ganzen Ladung edelster kölnischer Seidenstoffe nach London zu reisen, um diese hier mit sattem Gewinn zu verkaufen, obwohl dieses bei Strafe verboten sei.« Eckerts sonst so spröde Stimme bebte, und sein Kinn zuckte vor Empörung über so viel Unverstand. Er holte tief Luft, um mit seiner Schilderung fortzufahren, und sagte abfällig: »Der dumme Kerl ließ wohl durchblicken, dass für ihn selber sicher ebenfalls ein hübsches Sümmchen abfallen würde. Wahrscheinlich versuchte er, damit vor allem die Damen zu beeindrucken.« Eckert schnaubte, dann fuhr er ein wenig ironisch fort: »Doch anstatt diesem prahlerischen kölnischen Knecht und seinem Herrn Respekt und Anerkennung zu zollen, hat wohl einer der Gäste den Herren im Stalhof einen Hinweis gegeben. Dort hatte man verständlicherweise wenig Sinn für Herrn Lützenkirchens geschäftliche Vorstellungen. Und während der Knecht noch in
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