Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
der Schankstube feierte, sandte der Sheriff seine Männer aus, um Euren Gatten zu verhaften, der ahnungslos in seiner Kammer lag und schlief.« Eckert blickte zu Boden. Nie hatte Fygen ihn so zerknirscht gesehen, vielleicht mit Ausnahme des Tages nach ihrer Hochzeit, als er beabsichtigt hatte, seinen Dienst im Hause Lützenkirchen zu quittieren. Fygen wunderte sich zunächst über Eckerts Miene, doch dann wurde ihr klar, dass Peters Gehilfe sich selbst die Schuld an diesem Unglück zuschrieb. Denn wäre er mit Peter gereist, anstelle dieses unbedarften Knechtes, wäre Peter längst mit einem guten Profit und ohne Schwierigkeiten wohlbehalten zurück in Köln.
Kurz darauf kehrte auch Vornhuis in ihre Unterkunft zurück, und mit trüber Miene bestätigte er, was Eckert in Erfahrung gebracht hatte. Seine vorsichtigen Nachforschungen im Stalhof hatten ergeben, dass Peter in den Tower of London gebracht worden war, jene Festung, die zugleich Palast und Gefängnis war. Ihm wurde zur Last gelegt, gegen das Seideneinfuhrverbot verstoßen zu haben, das die Londoner Seidmacherinnen in den sechziger Jahren bei König Edward dem IV. gegen kölnische Erzeugnisse erwirkt hatten. Faktisch war das Einfuhrverbot in den Jahren der guten Handelsbeziehungen zwischen Köln und London kaum zur Anwendung gekommen, da gerade das Königshaus mit seinen Vorkaufsrechten erpicht auf die außergewöhnlich hochwertige kölnische Seide gewesen war. Nun aber, da Köln aus der Hanse ausgeschlossen und die Handelsbeziehungen zu England mehr als belastet waren, stellte Peters Versuch, Seide nach London zu bringen, insbesondere in den Augen der Hansekaufleute im Stalhof, ein höchst dreistes und schwer zu bestrafendes Delikt dar. Zudem warf man Peter Hinterlist, Profitgier und Eigensucht vor und behauptete, sein Handeln wäre mitleids- und rücksichtslos und von Habsucht getrieben.
Immerhin könne man Gott danken, dass Peter noch am Leben sei, schloss Vornhuis seinen traurigen Bericht, und Fygen zwang sich, genau daran festzuhalten. Peter lebte, das allein zählte. Und für alles andere würde sich sicher eine Lösung finden lassen.
Bis tief in die Nacht hinein hatten sie gemeinsam beratschlagt, und als Ergebnis dieser Überlegungen saß nun Fygen in diesem Kontor und wartete auf das Erscheinen des mächtigen Herrn Miles, dem sein Ruf als eitler Fatzke und Frauenliebhaber bereits vorausgeeilt war. Es galt, auf ihn den bestmöglichen Eindruck zu machen, daher hatte Fygen große Sorgfalt auf ihr Äußeres verwandt. Das elegante fuchsienfarbene Kleid, dessen Falten ihre englische Wirtsfrau gewissenhaft geplättet hatte, umspannte knapp ihre schmale Taille, und sie hatte bewusst auf den Brustlappen verzichtet, der ihr Dekolleté sittsam verhüllte. Ihr glänzendes, dunkles Haar ließ sie offen über den Rücken fallen, wie junge Mädchen es trugen, und Fygen hoffte, dass sie es mit ihrem Aussehen nicht übertrieben hatte, denn einen Skandal wollte sie in keinem Fall provozieren.
Fygen saß bereits eine gute Weile auf einem mäßig bequemen, aber kostbar bezogenen Sessel und wartete. Schon bald verspürte sie einen leichten Anflug von Ärger in sich aufsteigen. Offensichtlich gehörte es zu den Gepflogenheiten des Äldermannes, seine Wichtigkeit herauszustellen, indem er seine Gesprächspartner warten ließ. Gelangweilt blickte sie sich in dem Kontor um. An der Wand hing in protzig vergoldetem Rahmen das Porträt eines langnasigen Herrn in minzegrünem Samtwams. Herablassend blickte er aus seinem eitel gefältelten Kragen auf die Besucher herab, und Fygen fragte sich, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis dieser aufgetakelte Geck zu dem Äldermann stand.
Die Antwort sollte Fygen rasch bekommen, denn schließlich öffnete sich die Tür, und Jonathan Miles betrat das Kontor. In natura wirkte er noch geckenhafter als auf dem Porträt. Nicht nur die Nase hatte der Maler gnädig geschönt, denn das Original stach spitz und fast waagerecht aus dem langen Pferdegesicht hervor, um ohne Vorwarnung in einer dünnen Oberlippe auszulaufen, welche die großen Zähne nur mit Mühe bedeckte.
Fygens erster Impuls war, laut herauszulachen, doch damit hätte sie ihre Pläne sogleich zunichtegemacht. Alles hing nur von ihrem überzeugenden Auftreten ab, der richtigen Mischung aus Selbstbewusstsein, mädchenhafter Bewunderung und Schmeichelei. Fygen biss sich auf die Unterlippe und runzelte ein wenig die Augenbrauen, um ihre Verstimmung über die lange Wartezeit
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