Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
treffen.«
»Na, so etwas! Frau Lützenkirchen! Einen guten Tag wünsche ich.« Höflich und galant verbeugte er sich und zwinkerte Fygen fröhlich zu. »Ich war mir nicht sicher, ob Ihr es tatsächlich seid oder ob ich einer Doppelgängerin aufgesessen bin. Fast habe ich damit gerechnet, dass mich eine junge Dame der Unsittlichkeit bezichtigt, weil ich sie einfach anspreche.« Mit gespielter Erleichterung wischte er sich über die Stirn. »Da habe ich ja noch einmal Glück gehabt. Nie hätte ich erwartet, Euch hier anzutreffen. Dieser Peter! Ist er so verliebt, dass er sich nicht trennen kann und seine Gattin sogar mit auf Handelsreise nimmt? Wo steckt er denn? Lässt seine schöne junge Frau hier allein in der Schankstube sitzen!« Doch dann sah er, wie ein Schatten Fygens Miene trübte. »Was ist geschehen? Stimmt etwas nicht?«
»Nein, etwas stimmt ganz und gar nicht«, antwortete Fygen leise und erklärte ihm, welche unglücklichen Umstände sie nach Dordrecht geführt hatten und welch große Sorgen ihr Peters Ausbleiben bereitete.
»Das ist eine schlimme Sache«, bestätigte Vornhuis mit ernster Miene, als Fygen geendet hatte. »Ich befinde mich selber auf dem Weg nach London. Wenn es Euch recht ist, so setzen wir unsere Reise gemeinsam fort. Vielleicht kann ich Euch in London ein wenig behilflich sein.«
Dies war ein wirklich großzügiges Angebot. Nicht dass Fygen sich unter Eckerts Obhut nicht sicher gefühlt hätte, seine Fähigkeiten als Beschützer hatte er mehr als genügend unter Beweis gestellt. Aber Vornhuis konnte ihr auf ganz andere Weise helfen, denn er hatte einen unschätzbaren Vorteil: Er war Lübecker und als solcher Hansemitglied und zurzeit in England mehr als willkommen. Zudem kannte er London und die Handelsgepflogenheiten dort und verfügte sicherlich über einige nützliche Verbindungen im Stalhof. Kurz: Vornhuis schickte der Himmel. Und außerdem war er ein geistreicher und angenehmer Unterhalter. Es wäre schön, mit ihm während der Überfahrt über den Kanal ein wenig plaudern zu können, denn der wortkarge Eckert war keineswegs ein unterhaltsamer Reisegefährte.
Spät und unverrichteter Dinge kam Eckert zurück in den Gasthof. Er hatte sich im Hafen und den Gasthöfen ringsum ein wenig umgehört, jedoch nichts von Bedeutung in Erfahrung gebracht. Doch keine Nachrichten waren in diesem Fall gute Nachrichten, denn von einem Schiff, das im Kanal gesunken oder verschollen war, hätte man sicher gehört.
Eckert schien es gar nicht recht zu sein, die Frau seines Dienstherrn in Begleitung eines Lübeckers anzutreffen. Mürrisch musterte er Vornhuis und berichtete Fygen mit verdrießlich vorgerecktem Kinn, dass es leider ein wenig dauern würde, bis sie eine Passage nach London bekommen könnten. Das einzige Schiff, das morgen den Hafen in Richtung England verlassen würde, nähme keine Passagiere mehr auf.
Vornhuis hatte Eckerts Bericht schweigend gelauscht, und als dieser geendet hatte, wandte er sich an Fygen. »Das Schiff, das morgen ausläuft, befördert fast ausschließlich meine Waren. Wenn Ihr erlaubt, werde ich dafür sorgen, dass für Euch und Euren Gehilfen ausreichend Platz zur Verfügung gestellt wird.«
Ein wenig erhellte sich Eckerts Miene ob dieser Ankündigung, doch er blieb weiterhin misstrauisch. Einem Lübecker war schließlich nie ganz zu trauen.
Früh am Morgen machte Fygen sich in Begleitung von Eckert und Vornhuis auf den Weg zum großen Hafen. Die Stadt duckte sich noch verschlafen unter dem morgendlichen Nebel, der aus den Kanälen stieg und sich an die hübschen kleinen Brücken schmiegte, welche die winzigen Wasserläufe, die sich zwischen den Häusern auftaten, überspannten. Als sie die Grote Kerk, jene riesige Kirche, deren eigenwilligen Turm Fygen bereits am Vortag bemerkt hatte, erreichten, bat Fygen darum, kurz hineingehen zu dürfen. Ehrfürchtig betrat sie das lange steinerne Gewölbe mit dem für die Niederlande ungewöhnlich großen und hohen Kirchenschiff. Nachdem sie sich bekreuzigt hatte, schritt sie zu einem Seitenaltar und entzündete eine Kerze, kniete kurz nieder und bat die Muttergottes, sich der Seele ihres verstorbenen Onkels Mathys anzunehmen. Und da sie schon einmal dabei war, bat sie auch gleich um eine sichere Reise für sich und ihre Reisegefährten und darum, dass sie Peter heil und wohlbehalten wiederfinden möge.
»Seht Ihr den schiefen Turm?«, fragte Vornhuis, als Fygen ihre Gebete beendet hatte und wieder zu ihnen auf die
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