Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
auszudrücken. Miles trat auf sie zu, deutete eine leichte Verbeugung an und reichte ihr lasch und höchst unmännlich die Hand. Fygen hatte das Gefühl, sie greife nach einem toten Fisch, und widerstand nur mühsam der Versuchung, sich ihre Hand an dem Rock abzuwischen. Stattdessen bedachte sie Miles mit einem honigsüßen Lächeln.
»Guten Tag, meine Werteste. Womit kann ich der Nichte meines geschätzten Kollegen Vornhuis behilflich sein?«, näselte der Äldermann, als wäre sein Aussehen noch nicht lächerlich genug. Vornhuis hatte Fygen erzählt, dass Miles deutschstämmig war, jedoch vor vielen Jahren bereits das Londoner Bürgerrecht erworben hatte und sich nun englischer gab und fühlte als jeder gebürtige Engländer. Doch auf dieses groteske, übertriebene Näseln war Fygen nicht vorbereitet gewesen, und erneut kostete es sie Mühe, ihr Lachen zurückzuhalten. »Sicher könnt Ihr mir behilflich sein. Wenn nicht Ihr, wer dann?«, flötete sie stattdessen und blickte Miles mit einem lasziven Augenaufschlag an. »Man hat mir in Dordrecht eine ganze Ladung Seidwaren gestohlen und diese dann nach London gebracht, stellt Euch vor, wie impertinent! Aber wie mir mein Oheim berichtete, ist es Eurem raschen Eingreifen zu verdanken, dass der Dieb bereits gefasst wurde. Nun würde ich also gerne meine Seide zurückbekommen.«
»So, Eure Seide, ja«, näselte Miles gedehnt. Er schien nicht ganz bei der Sache zu sein. Sein Blick ruhte bereits auf ihrem Dekolleté, und Fygen befürchtete, doch zu freizügig mit ihren Reizen gewesen zu sein.
Miles fuhr sich kurz mit der Zunge über die spitzen Lippen und riss sich dann zusammen. »Eure Seide, ja«, wiederholte er sich. »Wir haben in der Tat einen – äh – Dieb gefasst und eine Ladung Seide beschlagnahmt.«
»Dann ist ja alles in bester Ordnung«, sagte Fygen erfreut. »Ihr braucht mir nur zu sagen, wo sie sich befindet, dann schicke ich meinen Gehilfen …«
»Meine Verehrteste, sosehr ich es bedaure, aber so einfach ist das nicht.«
»Was ist daran kompliziert?«, fragte Fygen und legte kokett den Kopf schief.
»Nun, ohne Euch zu nahetreten zu wollen«, erwiderte der Äldermann, »aber wir müssen sichergehen, dass es sich auch in der Tat um Eure Waren handelt. Nur pro forma, Ihr versteht.«
Fygen nickte bedächtig. »Ah ja, ich verstehe. Nur pro forma.« Dann, als wäre ihr der Einfall spontan in den Kopf gekommen, wechselte sie das Thema: »Maigrün müsste Euch sicher ausgezeichnet zu Gesicht stehen. Es unterstreicht Eure Empfindsamkeit.« Fygen sah, wie bei diesen Worten ein eitles Lächeln über Miles’ Pferdegesicht glitt. Selbstgefällig strich er sich über sein schütteres Bärtchen.
Fygen fühlte, dass sie auf dem richtigen Weg war, und fuhr mutig fort: »Wenn mich nicht alles täuscht, müsste in der Ladung auch ein besonders exzellenter Stoff in dieser Farbe zu finden sein. Ihr müsst mir unbedingt erlauben, Euch diesen Ballen zum Geschenk zu machen.« Hier legte sie eine beredte Pause ein, um dann in beinahe geschäftsmäßigem Ton auf ihr ursprüngliches Thema zurückzukommen: »Ich nehme an, es würde helfen, wenn ich Euch eine Liste zukommen ließe, auf der meine Waren genauestens verzeichnet und beschrieben sind? Nur pro forma, versteht sich.«
»Ja, ich denke, damit wäre wohl den Formalitäten Genüge getan. Wenn es nicht allzu viele Umstände macht.«
»Vielen Dank. Ich weiß Eure Hilfe wirklich zu schätzen.« Mit einem hoheitsvollen Schwingen ihrer Röcke und einem winzigen, genau berechneten Anflug von Arroganz wandte Fygen sich zur Tür, um sich dann doch noch einmal zu Miles umzudrehen: »Ach, eine kleine Bitte hätte ich noch.«
»Wenn ich sie erfüllen kann?«
»Das könnt Ihr mit Leichtigkeit. Ich möchte mir den Schuft anschauen, der mich so dreist bestohlen hat, und ihm gehörig die Meinung sagen. Eine Vornhuis bestiehlt man nicht so ohne weiteres. Wenn Ihr ihn danach hängt oder verrotten lasst, so soll es mir gleich sein. Vielleicht könnt Ihr das arrangieren, ganz diskret, hier im Schutze Eures Kontors? Nur ungern würde ich in den Tower …«
»Nein, der Tower ist wahrlich kein Ort für eine Dame«, beeilte sich Miles ihr zuzustimmen. »Ich werde sehen, was sich machen lässt. Bis dahin meine aufrichtigen Grüße an den Herrn Onkel.«
Als der kleine Trupp Bewaffneter von der Thames Street in südliche Richtung in die enge Gasse abbog, vermischte sich bereits die Dämmerung mit dem Nebel, der vom Themseufer in die
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