Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
vertauschst!« Munter scherzend rief Fygen Bernhard die Worte über den halben Hof hinweg zu. Der ansehnliche Rödergehilfe war mit seinem Karren bereits sehr früh am Morgen erschienen. Die Luft war noch kühl und blau, es würde ein strahlender Tag werden.
»Bestimmt nicht, Frau Lützenkirchen!«, rief Bernhard genauso fröhlich zurück. »Eure sind ja gestempelt.«
Fygen glaubte, nicht recht gehört zu haben. War das auch ein Scherz? Sicher, es musste so sein. Dennoch beschloss sie, ein wenig auf den Busch zu klopfen. »Sind die anderen Stoffe, die ihr färbt, denn nicht gestempelt?«, fragte sie und ging mit raschen Schritten auf ihn zu.
»Nö!«, gab der Geselle des Rotfärbers unumwunden zu und lächelte sie breit an.
Fygen staunte. Die Antwort schien ehrlich zu sein. »Und für wen färbt ihr noch, außer für mich?«, wollte sie wissen.
»Na, viel Zeit bleibt ja nicht.« Bernhard kratzte sich ausgiebig am Kopf. Dann fuhr er fort: »Aber wenn wir mal nicht für Euch färben, dann meist für die Elnersche.«
»Mettel Elner meinst du?«
»Ja, genau.«
»Soso, die alte Mettel lässt also ungestempelte Seide färben«, murmelte Fygen verblüfft vor sich hin. Was Bernhard ihr in seiner einfältigen Art nämlich gerade verraten hatte, war, dass Mettel offensichtlich die Akzise hinterzog und Meister Bachem sich strafbar machte, wohl weil er von Mettel gut dafür bezahlt wurde.
Jedes fertig gewebte Seidentuch musste vor dem Färben zu den Stelrevern gebracht werden, die es vermaßen und siegelten. Daraufhin wurde, abhängig von der Länge des Stoffes, die Steuer festgesetzt, welche die Seidmacherin zu entrichten hatte. Bei Strafe war es den Färbern der Stadt verboten, ungestempelte Seide zu färben.
War Bernhard wirklich so dumm, dass er ihr so etwas Heikles verriet? Nur schön zu sein hilft eben auch nicht, schoss es Fygen durch den Kopf. Es war schon erstaunlich, dass ein so kluger Mann wie Meister Bachem sich einen so dummen Gehilfen suchte. Oder war das vielleicht Absicht? Ein dummer Helfer kam seinem Herrn nicht so leicht auf die Schliche.
Eine heikle Information hatte sie da erhalten, doch was sollte sie nun damit anfangen, fragte Fygen sich. Sollte sie die alte Mettel bei der Zunft anschwärzen? Ganz wohl war ihr nicht dabei. Wer war sie, dass sie sich zum Richter über andere erhob? Verstieß sie selbst nicht ebenfalls gegen die Zunftgesetze, indem sie den Beginen Seide zum Spinnen gab?
Nein, entschied sie. Es war eine Sache, aus Mitleid den frommen Frauen unter die Arme zu greifen, jedoch eine gänzlich andere, aus Profitgier die Akzise zu hinterziehen.
Der Nachmittag des Tages war längst nicht mehr so strahlend schön wie der Morgen, stellten die Damen und Herren vom Seidamt fest, als sie durch den Nieselregen eilten, um zum Lützenkirchenschen Haus zu gelangen. Frau Lützenkirchen hatte nämlich mit äußerster Dringlichkeit um eine außerordentliche Sitzung des Zunftvorstandes gebeten. Worum es allerdings ging, hatte sie die Boten, die sie zu Mertyn Ime Hove, Johann Byrken und Trude van Arnold geschickt hatte, nicht ausrichten lassen. Und so traf nun der Zunftvorstand höchst gespannt in Fygens Kontor zusammen und harrte der Dinge, die Frau Lützenkirchen ihnen mitzuteilen gedachte. Erst als alle beisammensaßen, berichtete Fygen ihnen von ihrem Verdacht und gab ihnen auch die Quelle ihrer Informationen preis. Eine Zeitlang herrschte Schweigen in ihrem Kontor. Schließlich fasste Johann Byrken den Sachverhalt zusammen: »Das übersteigt eigentlich unsere Verantwortung. Hinterziehung der Steuer ist eine Angelegenheit, die wir dem Rat mitzuteilen haben. Doch immerhin geht es hier um ein Zunftmitglied. Wir sollten sichere Beweise für die Anschuldigungen haben, ehe wir sie erheben. Ich würde gerne bei der al… bei Mettel Elner und Meister Bachem die Werkstätten durchsuchen lassen. Dann wird sich zeigen, was an der Geschichte dran ist.«
Beifälliges Gemurmel erhob sich, und es dauerte nicht lange, bis zwei Gruppen von bewaffneten städtischen Wachleuten sich auf den Weg machten. Die eine, um Fygens ehemaliger Lehrherrin in Unter Seidmacher einen Besuch abzustatten, die andere ging in den Pfarrbezirk St. Peter, wo entlang der Bäche die Färber ihre Werkstätten hatten.
Mettel zeterte, als die Wachmänner an ihre Tür klopften. Sie zeterte weiter, als die Männer sie einfach beiseiteschoben und sich Zugang zu ihrem Haus verschafften, rücksichtslos mit schlammbeschmierten Schuhen
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