Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
trauriges Ende, stellte Tim fest, der kaum mit ansehen konnte, wie grausam das Schicksal seinem strahlenden Helden mitgespielt hatte.
7. Kapitel
E s war bereits dunkel, als Fygen sich mit Tim und den Mädchen auf den Heimweg machte. Als sie auf den Alten Markt hinaustrat, zog sie ihren Umhang fester um die Schultern, denn die Nächte waren noch kühl. Ein träger, runder Mond hing tief über dem Markplatz und beleuchtete ihren Weg. Fygen hielt ihre beiden jüngeren Töchter an der Hand, und ehe sie es verhindern konnte, war Tim zu den Schranken gelaufen und über die hölzernen Absperrungen geklettert. »Himmel, Tim!«, schimpfte sie und zog die Mädchen hinter sich her. »Komm sofort zurück.«
Doch der Junge antwortete nicht, und so trat Fygen an die Schranken heran, um zu schauen, wo Peters Lehrjunge abgeblieben war.
»Tante Fygen, komm her und hilf mir!«, flüsterte Tim plötzlich von der Mitte der Turniergasse her.
»Was ist denn?«, rief Fygen zurück, doch etwas in der Stimme des Jungen sagte ihr, dass es ihm sehr wichtig war. »Ihr rührt euch nicht vom Fleck«, schärfte sie ihren Töchtern ein. Es fehlte gerade noch, dass diese sich auch verselbständigen würden. Dann setzte sie ihren Fuß auf den untersten Balken der Schranken und kletterte behende hinüber. Vorsichtig, um nicht unnötig in eine der zahlreich herumliegenden Hinterlassenschaften der Pferde zu treten, huschte Fygen die Turniergasse entlang. Dann plötzlich sah sie Tim neben etwas auf dem Boden knien. Matt schimmernd reflektierte Metall das Mondlicht, und Fygen wusste plötzlich, was da auf dem Boden lag. »Euer Majestät«, stammelte sie entsetzt.
»Hilf mir, Fygen, wir müssen ihn auf die Beine bringen.«
»Aber der Kaiser hat doch befohlen …«
»Wir heben ihn auch nicht auf. Er braucht nur etwas, woran er sich aufrichten kann, nicht wahr, Euer Majestät?«
»Einen klugen Jungen habt Ihr da. Wenn Ihr in der Tat so freundlich wärt?«
»Was soll ich tun?«, fragte Fygen.
»Stellt Euch einfach neben mich hin.«
Fygen tat wie geheißen.
»Und du, Junge, halte die Dame gut fest, damit sie nicht umfällt. Ich packe jetzt Eure Knöchel und versuche, mich herumzudrehen.«
Fygen unterdrückte einen Aufschrei, als Maximilians kalte Hände mit festem Griff ihre Knöchel umfassten. Dann legte der König ein Bein über das andere, und mit größter Anstrengung gelang es ihm endlich, sich scheppernd und klirrend auf den Bauch zu drehen. Einen Moment lang blieb er heftig atmend so liegen, bis er begann, ein Bein nach dem anderen unter sich zu ziehen.
»Ihr erlaubt«, fragte er, und seine Hände griffen nach ihren Knien.
Fygen stemmte sich in den Boden, um unter seinem Gewicht nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mit einer schier unmenschlichen Kraftanstrengung gelang es Maximilian schließlich, schwankend auf die Beine zu kommen. Einen Moment lang hielt er ihre Schultern umfasst, dann griff er nach ihrer Hand. »Ich bin Euch zu Dank verpflichtet. Heute Abend gebe ich ein Gastmahl zu Ehren der Damen der Stadt auf dem Quatermarkt.« Er lachte. »Ich hätte nicht gedacht, wie passend das gerade heute ist. Seid Ihr bereits geladen?«
»Ja, aber mein Mann ist nicht in der Stadt, und allein …«
»Dann erweist mir die Ehre, heute Abend mein besonderer Gast zu sein«, antwortete Maximilian galant.
Fygen war nur wenig Zeit geblieben, sich umzukleiden und zurechtzumachen, doch einen kurzen Moment vor dem Spiegel hatte sie sich gegönnt. Alles in allem konnte sich das Ergebnis durchaus sehen lassen. Ihre Taille war nach wie vor schlank, zwar nicht mehr so wie bei einem jungen Mädchen, aber durchaus akzeptabel. Und dass die Hüften ein wenig in die Breite gegangen waren, nun, unter dem weiten Rock konnte das ohnehin niemand sehen, und auch Peter hatte sich darüber bisher nicht beschwert. Kritisch untersuchte sie ihren Scheitel, doch in den dunkelbraunen Locken war noch nicht ein einziges silbernes Härchen zu entdecken. Auch mit ihrem Gesicht konnte Fygen zufrieden sein. Die Haut war glatt und klar, einzig um die Augen hatten sich winzige Fältchen gebildet.
Fast ohne Verspätung gelangte sie zum Quatermarkt. Man schien sie erwartet zu haben, denn kaum hatte sie ihren Namen genannt, wurde sie auch schon durch den Saal geleitet, vorbei an dem Tisch, an dem Bürgermeister und Ratsherren ihre Plätze gefunden hatten, bis ganz nach vorn zum Tisch des Königs.
Maximilian erhob sich, und mit ihm der Kölner Erzbischof zu seiner Linken.
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