Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
recht fesch in blaues Tuch gekleideten Bräutigams schien Agnes’ Gehirn sich sofort wieder in einen Topf voller Brei zu verwandeln. Den Kopf demütig gesenkt, einen leicht dümmlichen Ausdruck mit halb offenem Mund und bewundernd nach oben blickenden Kulleraugen auf dem Gesicht, starrte sie ihrem künftigen Gemahl entgegen. Eine faszinierende, wenn auch nicht ganz ungefährliche Verwandlung, wie Fygen fand. Es war nie gut, seinen Gatten zu sehr anzuhimmeln und ihm nur nach dem Mund zu sprechen. Doch hegte sie die Hoffnung, dass, wenn die beiden Brautleute eine Zeitlang Tisch und Bett geteilt hätten und in der jungen Ehe einmal der Alltag eingekehrt wäre, sich auch solcherlei Verhalten auswachsen würde. Aber für den Moment hielt Fygen es für angeraten, ihre Tochter mit einem leichten Stoß des Ellenbogens in den gegenwärtigen Augenblick zurückzuholen, so dass diese in der Lage war, Bräutigam nebst Geschwistern würdig zu begrüßen.
Nach und nach füllte sich nun der Hof mit geladenen Gästen, und Fygen musste sie nicht lange bitten, sich in das Haus zu begeben, wo in der hauseigenen, üppig mit Blüten geschmückten Kapelle die Trauung stattfinden würde. Natürlich war das winzige Gotteshaus zu klein, als dass alle Gäste darin Platz gefunden hätten. Die drei schmalen Bankreihen reichten gerade für die Familie, die Geschwister Imhoff und für Katryn mit ihren Kindern, der als Agnes’ Taufpatin diese Ehre zustand. Für die übrigen Gäste hatte man in der Halle Hocker und Bänke aufgestellt und den Pfarrer angewiesen, sich bei der Predigt aller Lautstärke zu befleißigen, die seine Stimme hervorzubringen vermochte.
Doch zunächst war es gar nicht so einfach, die Gäste in die für sie vorgesehenen Bänke zu bugsieren. Denn mindestens so neugierig wie auf die Trauung selbst waren die Geladenen darauf, wie das alte Gemäuer der Wolkenburg zu einem komfortablen Wohnhaus hergerichtet worden war. Und so streiften sie, für Fygens Geschmack ein wenig zu freimütig, umher, um sich alles auf das genaueste zu betrachten. Doch irgendwann gelang es, auch die Neugierigsten unter ihnen auf ihre Plätze zu geleiten.
Unzählige Wachskerzen erleuchteten die Kapelle, schickten ihren süßlichen Duft in die Halle hinaus, und als der Pfarrer mit der Trauungszeremonie begann, musste Fygen ein paar Mal trocken schlucken. Zu schnell war alles gegangen. Die Mädchen waren doch gerade erst auf die Welt gekommen und hatten kaum gelernt, zu essen, zu sprechen und zu laufen. Und nun waren sie bereits erwachsen geworden, ohne dass ihre Mutter es so recht bemerkt hätte, und bereit, ihren eigenen Weg zu gehen. Ein kurzes, unterdrücktes Schniefen neben ihr ließ sie aus ihren Gedanken aufschrecken. Lijse in der Bank hinter ihr schluchzte gerührt in ihr Schnupftuch. Doch dieses Schniefen hatte nicht nach Lijse geklungen. Ein Blick zur Seite zeigte ihr, dass Peter, der neben ihr in der Bank kniete, verdächtig oft blinzelte. So lässig er diese Hochzeit arrangiert hatte, so gut sie ihm in seine geschäftlichen Pläne zu passen schien, jetzt, da es Ernst wurde, blieb auch er nicht von einer gewissen Rührung verschont. Verstohlen griff Fygen im Schutz der Bank nach seiner Hand und drückte sie kurz. Das leicht gequälte Lächeln, das auf seinem Gesicht gelegen hatte, wandelte sich in eine Grimasse der Selbstironie. Kurz zog er die Schultern hoch und schüttelte den Kopf, als wolle er sagen: Sieh dir diesen sentimentalen Tropf von Vater an.
Nach der Trauung drängten die Gäste in den gepflasterten Hof hinaus, wo Tische und Bänke aufgebaut worden waren. Aufgrund des schönen Wetters hatte man noch am frühen Morgen eilig umdisponiert und Tische und Bänke ins Freie hinausgetragen. Die Gratulanten scharten sich um das Brautpaar, um ihre Glückwünsche vorzubringen, garniert mit manch gut gemeintem Rat an die Braut, wenn es ein weiblicher Gast war, gespickt mit der ein oder anderen Zote, wenn der Gratulant ein Mann war. Auch die Brauteltern wurden reichlich mit Glückwünschen bedacht und zudem mit Lob, oft vermischt mit einer Prise Neid, die Wolkenburg betreffend.
Während die Gratulanten sich noch um das Brautpaar scharten, hatte niemand den kleinen braunen Hund beachtet, dem die Besucherflut wohl zu viel geworden war. Heimlich hatte er seinen Stammplatz an Fygens Seite verlassen und sich auf der Suche nach Abenteuern durch das offene Hoftor hinausgeschlichen. Doch die Welt außerhalb seines gewohnten Lebensbereiches zeigte sich
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