Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
seinem Hals an, und sein Gesicht färbte sich aufs Neue rot.
Doch Heinrich von Wickroed hatte recht. Nur zu leicht vergaß man in Köln, dass die kölnische Zunft der Seidmacherinnen als reine Frauenzunft in der Tat eine Besonderheit darstellte. Frauen konnten auf eigene Rechnung Verträge abschließen, Handel treiben und Zeugnis ablegen, ohne dass sie eines männlichen Vormundes bedurften. Nur zu politischer Vertretung reichten ihre Befugnisse nicht, weshalb die Zunft sinnigerweise den zwei weiblichen Vorständen, die sich auf das Fachliche verstanden, zusätzlich zwei männlichen Vorstände, meist Ehegatten von Seidmacherinnen, zur Seite stellte, welche die Zunft auch nach außen hin, beispielsweise dem Rat gegenüber, vertreten konnten.
»Dann muss man das den Flandrischen eben erklären«, polterte Johann Liblar ungehalten, und Fygen war sicher, Liblar werde all seinen Einfluss geltend machen, um genau dieses zu erreichen.
Ganz so salopp konnte man zwar nicht vorgehen, doch der Sache nach folgte der Rat der Stadt Köln ebenjener, Johann Liblars, Empfehlung, als er sich in der Angelegenheit nach Antwerpen wandte. Man habe wohl vernommen, dass es in Antwerpen nicht gebräuchlich sei, Frauen zu vernehmen und zu vereidigen. Da das kölnische Seidamt jedoch beinahe ausschließlich von Frauen geführt würde, die sich zudem trefflich auf ihr Handwerk wie auch auf den Handel verstünden, bitte man darum, das Zeugnis der kölnischen Seidmacherinnen anzuerkennen.
Endlich war es geschafft. Alles war bereit und auf das feinste gerichtet. Die Wolkenburg hatte einen neuen Anstrich erhalten und strahlte, als gelte es einen Wettbewerb mit der Maisonne. In der Nacht noch hatte ein kräftiger Schauer den Staub der vergangenen Tage von den Dächern gespült und die Blätter der Apfelbäume im Obstgarten blank gewaschen. Nun reckten sie ihre winzigen Fruchtstände und ihr frisches Grün der Sonne entgegen. Das Pflaster im Hof war sorgfältig gefegt, überall zierten mit bunten Bändern geschmückte Girlanden aus frischen Zweigen Wände und Türen. Die Tafeln waren gedeckt, das Gesinde trug frische, saubere Schürzen, alles war bereit. Und dennoch konnte Fygen sich nicht erinnern, jemals so nervös gewesen zu sein. Sie musste sich ständig daran gemahnen, ihre feuchten Hände nicht in die kostbare, pflaumenfarbene Seide ihrer Robe zu krallen. Seltsamerweise schien Peter völlig entspannt zu sein. Dabei waren die letzten Wochen eine einzige, schier unerträgliche Schufterei gewesen. Von Sonnenaufgang bis zu ihrem Untergang hatten Fygen, die Mägde, Knechte und zuletzt auch die Lehrmädchen sich gemüht, ihr Wohnhaus auszuräumen und alles sicher zu verpacken. Ohne die ordnende Hand von Eckert, der mit der rechten Überzeugungskraft dafür sorgte, dass die Handwerker die Wolkenburg beizeiten in einen bewohnbaren Zustand versetzten, hätten sie es nie geschafft, dachte Fygen.
Und gerade erst war der Strom der Karren und Lastträger, welche die Möbel, Kisten und Truhen in ihr neues Heim brachten, abgerissen, und man hatte unter Mühen alles an Ort und Stelle geschafft, als sich bereits eine neue Flut anschickte, die Einwohner der Wolkenburg zu überrennen: Lieferanten rollten Wein- und Bierfässer herbei, schleppten Säcke voll Mehl, Zucker und Gewürzen, brachten Töpfe und Tiegel mit Öl, Honig und Fett. Denn kaum war das neue Haus bezogen, stand auch schon die erste Festlichkeit ins Haus: Andreas Imhoff hatte, sehr zur Freude seines künftigen Schwiegervaters, um die Hand von Agnes angehalten. Und wann anders als im Mai sollte die Hochzeit sein?
Agnes hatte sich gewünscht, die Feierlichkeiten im neuen Heim zu begehen, das hierfür wie gemacht schien, anstatt in ein Bruloftshaus zu gehen. Und so hatte Fygen sich seufzend in das Unausweichliche geschickt.
Zum Glück war mit der Verlobung Agnes’ Sinn für das Praktische zurückgekehrt, und auch jetzt, angetan mit ihrem Brautkleid aus feinstem weißem Seidentaft, das Blütenschappel bereits auf dem ordentlich gescheitelten Haar, kommandierte sie noch die Mägde umher, dies zu holen und jenes zu richten. Doch schließlich war wirklich alles bereit, und gerade als Agnes zu ihren Eltern und Geschwistern in den Hof hinaustrat, kam auch schon Bewegung in die Knechte am Tor. Zu Fygens großer Erleichterung waren der Bräutigam, seine Schwester, die ebenfalls den Namen Agnes trug, und sein Bruder Johann die Ersten, die das festlich geschmückte Hoftor passierten. Beim Anblick ihres
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