Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
den Seidenhandel inzwischen recht gründlich gelernt und in den letzten Tagen ebenfalls gute Preise für Katryns hervorragende Seidwaren erzielt.
Vor der Nikolaikirche wies Peter auf einen unscheinbaren Bretterverschlag. »Siehst du diese bescheidene Bude dort?«, fragte er Tim.
Der Junge nickte, doch er schien nicht recht bei der Sache zu sein. Seine dunklen Augen folgten Peters Fingerzeig, doch sie huschten sofort weiter umher, unfähig, auf einem Ziel zur Ruhe zu kommen. Irgendetwas schien den Jungen sehr zu bewegen, erkannte Fygen, doch Peter hatte davon nichts bemerkt.
»Sie sieht nach nichts Besonderem aus, und doch ist es das Herzstück dieser Messe«, fuhr er fort. »Denn dort wird Geld gewechselt. Währungen aus aller Welt werden hier umgetauscht, Wechsel ausgestellt und eingelöst.«
Fygen betrachtete den Verschlag und vor allem die Kunden, die dort ein und aus gingen, genauer, doch Tim nickte nur abwesend.
Irgendwann hatte die Menge sie in die Nähe des Hafens gespült, und Fygen zog die beiden Männer hinter sich her auf eine Schänke, gleich beim Leonhardstor, zu. »Geld auszugeben ist anstrengender, als Geld zu verdienen«, bemerkte sie lachend. Ein ausgiebiges Mahl würde ihnen jetzt sicher gut tun.
Fygen hatte gerade einen Schluck des säuerlichen, gelblich trüben Weines versucht, der aus Äpfeln gekeltert wurde und dem man hierzulande leidenschaftlich zusprach, als Tim sich plötzlich erhob. Sein Stuhl kippte nach hinten und wäre beinahe umgefallen, wenn Fygen ihn nicht im letzten Moment erwischt hätte. Die Augen der Gäste in der Schankstube wandten sich ihnen zu, doch als sie nichts Aufregenderes erblickten als einen Jüngling mit rot angelaufenem Gesicht, wandten sie sich wieder ihren Tellern zu.
»Peter, äh, ich meine, würdest du, du weißt, äh …«
Irritiert blickte Peter ihn an. »Setz dich, Junge, und dann rede in ganzen Sätzen mit mir, so verstehe ich kein Wort von dem, was du sagst!«, befahl Peter ihm.
Gehorsam nahm der Junge wieder auf seinem Stuhl Platz, schluckte ein paar Mal trocken und versuchte, seine Gedanken zu sortieren. »Ich möchte Lisbeth heiraten, Peter«, brachte Tim schließlich heraus. »Wir lieben uns schon so lange, und ich kann sicher gut für sie sorgen. Mutters Betrieb ist sehr groß geworden, wie du weißt. Wir lassen viel im Verlagssystem von anderen Seidmacherinnen weben. Und mein Handel mit englischem Tuch läuft sehr gut …« Tim hatte sich in Fahrt geredet und dabei nicht bemerkt, wie Peters Gesicht sich langsam verdüsterte.
»Nein!«, beschied Peter ihm knapp.
»Lisbeth ist bald fertig mit der Lehre«, fuhr Tim fort, »und – wie bitte?« Erst jetzt war Peters Nein in sein Bewusstsein vorgedrungen. Verdutzt riss er seine kohlefarbenen Augen auf.
Auch Fygen starrte ihren Mann entsetzt an. Hatte er wirklich »Nein« gesagt? Wieso denn, in Himmels Namen? Fygen wusste, Lisbeth war Peters Liebling, doch Tim war sicher keine schlechte Partie für ihre Jüngste. Die beiden kannten sich, und Lisbeth vergötterte Tim, seit sie ein kleines Mädchen war. Sie hatte immer gedacht, Peter würde Tim hoch schätzen, ja sogar gerne mögen. Woher also kam diese strikte Ablehnung?
Tim schienen ähnliche Gedanken durch den Kopf geschossen zu sein, doch endlich hatte er sich so weit gesammelt, dass er einen neuen Anlauf unternehmen konnte: »Lisbeth und ich, wir sind uns …«
»Nein, habe ich gesagt. Und ich will darüber kein weiteres Wort von dir hören!«, unterbrach Peter ihn strikt.
Tim klappte den Mund zu. Etwas in Peters Stimme hielt ihn davon ab, über einen weiteren Anlauf auch nur nachzudenken.
Das Mahl verlief in angespanntem Schweigen. Nach diesem Gespräch fand keiner mehr so rechten Geschmack an Rindswurst oder Rippchen mit Kraut. Und auch dem gekochten Rindfleisch, das in einer cremigen Kräutersauce serviert wurde, zollten sie nicht die Anerkennung, die diese Besonderheit der Frankfurter Küche verdient hätte.
»Was hast du gegen Tim?«, griff Fygen das Thema am darauffolgenden Tag wieder auf. Noch am Vorabend hatten sie in der Herberge ihre Habseligkeiten zusammengepackt, ihre Schuld beglichen und sich am Morgen in aller Frühe in Begleitung einiger Kaufmannskollegen, unter ihnen auch Tim, auf die Heimreise gemacht. Zu Schiff flussabwärts über Main und Rhein würde die Reise gerade einmal bequeme zwei Tage dauern.
Peters sonnenverbranntes Gesicht zeigte keine Regung, sein Blick war weiterhin unverwandt auf die Weinberge
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