Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
Vom Netzwerk:
gerichtet, die sich in ihrer rotgoldenen Pracht rechts und links des Flussufers ausbreiteten.
    »Tim ist ein guter Kerl. Er ist fleißig, anstellig, und er liebt Lisbeth wirklich«, fuhr Fygen fort. »Ich bin sicher, er wird gut für sie sorgen.«
    Jetzt endlich wandte sich Peter ihr zu, und seine blauen Augen blickten sehr ernst. Ernst und ungeduldig zugleich. »Verdammt, Fygen. Tim ist Mertyns Sohn!«
    »Und?«, fragte Fygen. Sie verstand nicht, was Peter damit sagen wollte.
    »Du weißt, wie es mit Mertyn zu Ende gegangen ist, oder nicht?«
    »Was hat das mit Tim zu tun?«, fragte sie zurück.
    »Ich habe die Anzeichen vorher schon einmal in London gesehen, Fygen. Es war die Franzosenkrankheit. Was meinst du wohl, woher er die hatte? Bestimmt nicht davon, dass er sonntags die heilige Messe besucht hat. Mertyn ist den Frauen nachgestiegen und hat sich bei irgendeiner dahergelaufenen Hure angesteckt. Was ist, wenn Tim nach ihm gerät und jedem Rock nachläuft? Ich will nicht, dass meine Tochter so einen zum Mann bekommt!«
    »Ich glaube, Tim ist aus einem anderen Holz geschnitzt«, sagte Fygen. »Aber einmal abgesehen davon. Was willst du gegen eine Hochzeit der beiden unternehmen?«
    »Es schlicht und einfach verbieten«, antwortete Peter so würdevoll, dass es Fygen zum Lachen reizte.
    »Sie lieben sich. Wenn du ihnen verbietest zu heiraten, dann tun sie es heimlich. Denk doch an die Hochzeit von Katryn und Mertyn damals. Verstohlen und in aller Stille. Willst du das für deine Tochter? Oder soll sie vielleicht schwanger werden, damit du ihr gestattest, den Vater des Kindes zu heiraten?«, fragte Fygen mit Engelsmiene.
    Peter schaute seine Frau ehrlich empört an. »Dass du mir gleich zwei unmoralische Lösungen dieser Angelegenheit vorschlägst, lässt doch sehr tief blicken«, brummte er missgestimmt, doch er wusste, dass er geschlagen war. Und als der Oberländer am Nachmittag des darauffolgenden Tages Wesseling passiert hatte, als die Kirchturmspitzen Kölns in Sichtweite kamen, gab er Tim, zu dessen erneuter Verblüffung, nun doch die Zustimmung zur Ehe mit seiner Tochter Lisbeth.

    Ein wenig müde und sehr hungrig von der Reise kamen Peter und Fygen, begleitet von Tim, der es kaum erwarten konnte, Lisbeth die gute Neuigkeit mitzuteilen, in der Wolkenburg an. Freudig wurden sie von den Mädchen, Lijse und dem Gesinde bereits an der Tür begrüßt. Doch unter denen, die ihnen entgegengelaufen kamen, befand sich auch ein groß gewachsener junger Mann mit sonnengebräunter Haut. Überwältigt vor Freude drängte Fygen sich zu ihm durch und schloss ihn in die Arme. Herman war zurück. Endlich.
    Lachend hob er seine Mutter hoch und schwenkte sie herum. »Schwer bist du geworden«, neckte er sie respektlos, als er sie vorsichtig wieder auf dem steinernen Dielenboden absetzte.
    All die schrecklichen Bilder, die sich ihrem inneren Auge in den letzten Jahren wieder und wieder aufgedrängt hatten und die sie nur mühsam in Schach hatte halten können, zerbröckelten im Nu. Bilder von Herman, wie er vom Fieber geschwächt daniederlag, von Räubern überfallen, von diebischen Kaufleuten übervorteilt wurde. Doch jetzt war er zurückgekehrt, gesund und munter. Und es schien Fygen sogar, als wäre der Junge noch ein Stück gewachsen. Doch das mochte eine Täuschung sein. Braun gebrannt von der südlichen Sonne war er, die Haare von Licht und Wind gebleicht, und in seinen Augen blitzte ein fröhliches, ansteckendes Funkeln. Fygen reichte es, dass Herman wieder da war. Sie sah ihm an, dass es ihm gutging, und sie musste gar nicht die sicher ab und an erschreckenden Berichte seiner Reise hören. Doch der Rest der Familie war da gänzlich anderer Meinung, und so scharte man sich alsbald um den großen Tisch im Saal, um bei einem ausgiebigen Willkommensmahl die Verlobung von Tim und Lisbeth zu feiern und Hermans Geschichten zu lauschen.
    Weit mehr als zwei Jahre waren es nun her, dass Herman sich auf den Weg gemacht hatte. Den Rhein hinauf, über Frankfurt, Nürnberg, Augsburg, den Brenner und Bozen war er schließlich nach Venedig gelangt, Drehscheibe des Welthandels, in dessen Hafen die bedeutendsten Handelsstraßen Europas zusammenliefen. Gerade angekommen, hatte ihn ein beflissener Gondoliere geradewegs in den Fondaco dei Tedeschi gerudert, das Deutsche Haus unweit der Rialtobrücke. Herman wusste nicht, dass die Gondolieri die Anweisung hatte, alle deutschen Kaufleute samt ihren Waren in den Fondaco zu bringen, wo ihre

Weitere Kostenlose Bücher