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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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von einigen ihrer Schützlinge, denen der Schrecken in die verrußten Gesichter geschrieben stand.
    Peter wiederholte seine Frage an die ehrwürdige Mutter. Die ließ ihren Blick über ihre Schutzbefohlenen wandern und zählte sie durch.
    Wie traurige Krähen sahen sie aus, in ihren nachtschwarzen Röcken, die weiten Umhänge über die Köpfe geschlagen, dachte Fygen. Doch sie waren alle wohlbehalten. Schmutzig zwar und von Ruß verschmiert, und einige husteten in ihre dunklen Umhänge. Zwei der Frauen hatten sich leicht verletzt, als sie in Angst und Eile das Haus verlassen hatten, doch es waren nur kleine Schrammen.
    Zwölf Frauen lebten im Konvent. Die Mutter zählte elf. »Gott! Nein!«, rief sie aus, und ihre Stimme wurde schrill. »Helene fehlt. Sie kann nicht laufen. Sie sitzt wohl noch an ihrem Webstuhl.«
    »Wo?«, fragte Peter knapp.
    »Die Webstühle stehen in den hinteren Räumen.«
    Peter warf einen prüfenden Blick auf den brennenden Dachstuhl. Das Haus hatte steinerne Außenmauern mit hölzernen, eingezogenen Decken dazwischen. Doch es schien, als würden bisher nur die oberen Geschosse in Flammen stehen. Mit einer Bewegung riss Peter sich den wollenen Umhang von den Schultern, legte ihn sich über den Kopf und drückte ein leinenes Schnupftuch vor Mund und Nase. Dann lief er geradewegs durch das offene Eingangstor und verschwand aus Fygens Gesichtsfeld. Fygen erschrak. Unwillkürlich machte sie einen Schritt hinter ihm her, doch die Hitze hielt sie zurück. Die Angst stieg mit Gewalt in ihr auf, würgte sie, ließ alle Geräusche um sie herum unnatürlich laut werden, das Fauchen des Feuers, das Knistern des Holzes, das Zischen der Glut. Fygen schnappte ein paar Wortfetzen auf. »Fackeln … in den Hof geflogen … auf Schuppen gelandet … angefangen zu brennen …«
    Die Hitze bildete flimmernde Schlieren in der kalten Novemberluft. Kaum merkte Fygen, dass Hylgen neben sie getreten war und ihren Arm um die Freundin gelegt hatte.
    Es krachte. Ein Funkenmeer stob auf, und ein Teil der Balken, die das Dach getragen hatten, stürzte in die Tiefe. Fygen schrie auf und wich zurück. Das Haus stürzte ein, und Peter war noch darin. Wie unter einem Bann starrte Fygen in das dunkle Loch des Eingangs, aus dem eine schmächtige Rauchfahne aufstieg. Nichts. Sie sah nichts. Nur Schwärze. Die Augenblicke reihten sich zu Ewigkeiten, ihr Pulsschlag hämmerte ihr in den Schläfen.
    Da! Da war er. Die gelähmten Füße voran, trug Peter die alte Frau zur Tür. Sein Umhang war verrutscht, sein Haar und die Augenbrauen angesengt. Wie ein Bündel alter Kleider lag die betagte Begine hilflos in seinen Armen. Der wollene Umhang hing ihr schlaff von den mageren Schultern herab. Peter setzte einen Fuß auf die Stufe, und Fygen atmete erleichtert aus. Sie hatte nicht gemerkt, wie lange sie die Luft angehalten hatte. Er hatte es geschafft, die alte Helene zu retten.
    Doch gerade als Peter durch die Tür ins Freie treten wollte, hielt ihn etwas zurück. Er wandte den Kopf. Es war der wollene Umhang, der sich irgendwo verhakt hatte. Vorsichtig versuchte er das Gewicht der alten Frau auf seinen rechten Arm zu verlagern, um den linken frei zu bekommen. Helene schwankte, dann gelang es Peter, sie gegen seinen Oberkörper zu lehnen. In dem Moment, als er sich umwandte, um den Umhang zu lösen, geschah es. Die Decke über ihm gab nach und brach ein. Eine Wolke aus Staub und Dreck prasselte auf ihn nieder, dann stürzte ein Balken herab. Getroffen sank Peter zu Boden. Im Fallen gelang es ihm gerade noch, Helene einen Stoß zu versetzen, der sie durch die Tür ins rettende Freie schleuderte. Hastig zerrten Fygen und Hylgen die alte Frau von der Tür fort. Peter versuchte, auf die Beine zu kommen, doch bevor Fygen ihm zu Hilfe eilen konnte, prasselte erneut Schutt herab. Ein weiterer Balken stürzte hernieder und traf ihn am Kopf. Leblos sank sein Körper zu Boden.
    Fygen stürzte auf ihn zu, und mit schier unmenschlicher Kraft gelang es ihr, ihn unter dem Balken hervorzuzerren. Schluchzend schleppte sie seinen schweren Körper ins Freie.

    Wie eine graue Wand stand der Nebel in ihrem Kopf. Verzweifelt versuchte Fygen, ein Stück der Wirklichkeit wiederzufinden. Vereinzelt drangen Schreie durch das Grau, und langsam kam Fygen zu sich. Die Stimme, die da schrie, war ihre eigene, stellte sie verwirrt fest. Abrupt klappt sie den Mund zu. Der Schrei verstummte. Fygen stellte fest, dass sie in ihrem Bett lag, und ihr wurde klar, dass

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