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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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wendigeres Boot mit halbrundem, auffallend hochgezogenem Bug, das unweit ihres Schiffes vertäut lag. »Siehst du das da? Das ist ein Oberländer. Damit geht es den Rhein weiter hinauf, doch bevor wir die Waren auf kleinere Schiffe umladen können, müssen wir sie hier drei Tage zum Verkauf anbieten. Vor allem das Ventgut, also die frischen und verderblichen Güter, Fisch, Speck, Öl, Getreide, Wein, Käse und lebendes Vieh. So stellen die Kölner sicher, dass sie immer die beste und frischeste Ware bekommen und mit Lebensmitteln gut versorgt sind.«
    »Und wenn Ihr Euch weigert auszuladen oder heimlich an der Stadt vorbeifahrt, vielleicht bei Nacht?«, fragte Fygen vorwitzig.
    Der Schiffer lachte trocken. »Dann geht es uns so wie dem armen Teufel da«, sagte er und deutete auf den Uferweg, wo ein Tumult entstanden war. Viele Menschen liefen zusammen, junge Burschen drängten nach vorn, um besser sehen zu können. Inmitten der johlenden Menge konnte Fygen einen hünenhaften, fremdländisch aussehenden Mann mit wildem rotem Bart ausmachen. Dem Mann waren die Hände mit Binsen gebunden, die er mit Leichtigkeit hätte zerreißen können. Erstaunlicherweise ließ er sich, ohne Widerstand zu leisten, von einem Jüngling an einer Leine am Ufer entlangführen.
    »Was hat das zu bedeuten?«, wollte Fygen wissen.
    »Das ist ein alter Brauch in Köln, hansen genannt. Der Kaufmann hat sich wohl nicht ums Stapelrecht geschert und ist dabei erwischt worden. Siehst du den jungen Kerl da, der das Ende der Leine hält. Schau nur, wie stolz er einherspaziert.« Voller Abscheu spuckte der Schiffer ins Wasser, bevor er fortfuhr: »Der scheint den Kaufmann erwischt und verhaftet zu haben. Jetzt kann er ihn mit vollem Recht bestrafen.«
    »Aber der Kaufmann ist doch viel größer als der Jüngling und zudem gar nicht richtig gefesselt, er könnte sich doch ganz einfach befreien und weglaufen.«
    »Damit wäre er sicherlich schlecht beraten, denn wenn der Kaufmann ohne Einwilligung seine Fesseln löst, verfällt er selbst und seine gesamte Habe an den, der ihn erwischt und verhaftet hat.«
    Staunend beobachtete Fygen, wie sich der seltsame Zug durch eine der Pforten in der Rheinmauer zwängte und langsam aus ihrem Blickfeld verschwand. Etwas anderes nahm ihre Aufmerksamkeit gefangen: Ein großes Fass wurde vorsichtig von zwei Männern über die Planke ihres Schiffes hinab und zu einem Verschlag gerollt.
    »Das ist gepökelter Hering aus den Niederlanden«, erklärte der Schiffer, der ihrem Blick gefolgt war, bereitwillig.
    Ein beleibter Mann mit schmieriger Schürze trat vor, und auf seinen Befehl hin öffneten die Knechte das Fass und hoben den Deckel ab. Der Mann schnüffelte, dann griff er in das Fass und holte eine Handvoll Fische heraus. Mit den Fingern stieß und stocherte er in den Heringen herum, drückte und presste ein wenig. Dann pickte er sich einen Fisch heraus und biss vorsichtig ein Stück davon ab. Prüfend kaute er, dann nickte er zufrieden. Auf seinen Wink hin kippten die Knechte das Fass und leerten den Schwall Fische in eine große hölzerne Wanne. Ein Gehilfe, ebenfalls beschürzt, schleppte einen Sack Pökelsalz herbei und schichtete die Heringe in ein anderes Fass, wobei er großzügig das Salz zugab. Fygen beobachtete, wie die Knechte das Fass verschlossen und der Gehilfe ein Brandeisen aus dem Feuer nahm. Zischend drückte er es in das Holz des Fasses.
    »Was machen sie mit dem Fass?«, wollte Fygen wissen.
    »Das Fass bekommt einen Stempel, den sogenannten kölnischen Brand, damit ist die Qualität verbürgt.«
    »Und was geschieht jetzt damit?«
    »Es wird in die Stadt gebracht, kommt in das Fischkaufhaus und wird dort zum Verkauf angeboten.«
    Fygen erinnerte sich an den Fischgeruch, der ihr in die Nase gestochen war, als Eckert sie über das Fass geworfen hatte. »Und wenn der Hering nicht gut ist?«, fragte sie.
    »Dann kippen sie ihn in den Rhein«, brummte der Schiffer und wandte sich ab.
    Damit war ihre Unterhaltung beendet, und Fygen war ein wenig enttäuscht. Sie konnte sich nicht sattsehen an dem Gewimmel. Alles war fremd und neu für sie, und sie hätte noch unendlich viele Fragen stellen mögen. Ein winziger Anflug von Angst vor der riesigen Stadt mit ihren fremden Sitten stieg in ihr auf. Wie leicht konnte man hier etwas falsch machen und unwissentlich eine Straftat begehen. Doch nach einer Weile atmete sie tief ein, scheuchte die Angst in eine Ecke des Schiffes, raffte ihr Bündel auf und

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