Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
Vom Netzwerk:
sehr wichtige bevor: die Wahl des neuen Vorstandes der Seidmacherzunft. Für die Mädchen war jedoch die sich daran anschließende Tanzerei viel mehr von Interesse. Seit Tagen sprachen sie von nichts anderem. Welches Kleid sollte man anziehen, das grüne? Nein, doch lieber das blaue. Oder ist das zu tief ausgeschnitten? Und passen die Haarbänder dazu? So ging es in einem fort. Für Fygen war die Kleiderfrage recht einfach. Sie hatte nur ein gutes Kleid und das blaue von Katryns Schwester Adelheid, dessen Rock sie mit feinsten Stichen mühevoll ausgebessert hatte. Doch auch sie ließ sich von der aufgekratzten Stimmung anstecken.
    »Du solltest etwas gegen die Warze in deinem Gesicht unternehmen«, sagte sie in schwesterlich vertrautem Ton zu Grete.
    Ihre Base fuhr sich über den dicken rötlichen Knubbel unter ihrem linken Auge und sog empört die Luft ein. Wütend starrte sie Fygen an. Und auch Katryn hob überrascht den Blick von ihrer Arbeit. Es war ihr völlig neu, dass Fygen sich für Gretes Belange, geschweige denn ihr Aussehen interessierte. Fygens Gesicht zeigte eine arglose Miene, doch Katryn sah den winzigen gelben Funken Schalk in ihren Augen und verbiss sich ein Lächeln. Gespannt wartete sie ab, was die Freundin vorhatte.
    »Es gibt da eine Kräuterfrau auf dem Heumarkt. Es heißt, dass sie ein unfehlbares Mittel gegen Warzen herstellt«, sagte Fygen ungerührt zu Grete. »Ich werde dir etwas davon besorgen.«
    Gretes teigige Gesichtszüge entspannten sich zu einem huldvollen Lächeln. »Danke, das ist nett von dir.«
    In der Nacht, als die Mädchen zu Bett gegangen waren, bemerkte Katryn, wie Fygen sich wieder leise von ihren Strohbündeln erhob und aus der Werkstatt schlich. Neugierig folgte sie der Freundin und kam gerade rechtzeitig, um zu beobachten, wie Fygen sich in der Nähe der Latrine bückte und mit einem Stück Holz ein wenig Dreck in einen kleinen irdenen Tiegel schaufelte. Katryn biss sich auf die Lippen, um nicht laut herauszulachen, doch sie konnte nicht verhindern, dass ihr ein leises Kichern entschlüpfte. Fygen schrak zusammen, aber als sie die Freundin erkannte, winkte sie diese zu sich heran. Gewissenhaft fügte sie noch ein wenig Hühnermist hinzu, verkorkte den Tiegel und flüsterte: »Jetzt müssen wir nur noch echtes Kaufmannsgut daraus machen.« Übermütig zog sie Katryn mit sich in die Küche, wo Mettel, wie sie wussten, einige Kerzenstumpen aufbewahrte. Rasch war einer davon entzündet, und mit äußerster Sorgfalt ließ Fygen das Kerzenwachs auf den Korken tropfen, um ihn zu versiegeln. »Damit der Dreck auch schön frisch bleibt«, kicherte sie und fischte ein schmales Stück Kohle aus dem Herd. Im Licht der Kerze malte sie ein paar geheimnisvolle Zeichen auf den Tiegel. Dann pustete sie die überschüssige Kohle ab und betrachtete zufrieden ihr Werk. Voller Vorfreude schlichen die Mädchen zurück in die Werkstatt.
    »Ich bin gespannt, ob sie es ausprobiert«, sagte Katryn skeptisch, doch Fygen war sich ihrer Sache ziemlich sicher. »Sie wird!«

    Erwartungsvoll scharten sich die Mädchen an einer Seite des Saales, und je nach Mentalität versuchten einige, sich in einer Ecke zu verstecken, während andere kecke Blicke durch den Saal warfen, um die anwesenden Männer kritisch in Augenschein zu nehmen. In Ermangelung eines eigenen Zunfthauses hatten sich die Mitglieder der Seidmacherzunft im großen Saal des Hauses zum heiligen Josef versammelt, das am Ende der Straße an der Ecke zum Heumarkt lag, denn es galt, die neu gewählten Amtsmeister zu feiern. Jene zwei Männer und zwei Frauen, die von den Mitgliedern der Zunft bestimmt wurden, die Geschicke der Zunft für das kommende Jahr zu lenken. Auf ein Zeichen hin wurde es still im Saal, und der neue Vorstand trat vor. Die Frauen, beides Seidmacherinnen in mittleren Jahren, trugen kostbare Kleider, die hinten in Schleppen ausliefen, und üppige, ausladende Hauben.
    Fygen reckte den Hals, um besser sehen zu können, und Katryn flüsterte ihr ins Ohr: »Die Kleine links ist Dora van Attendarne, und die Lange, Dünne mit der spitzen Nase ist Gertrud van der Sar. Der dicke Mann neben Dora da ist Johann Byrken, und der andere …« Sie deutete mit dem Kinn auf einen gut aussehenden, groß gewachsenen Mann mit breiten Schultern und blonden Locken, der die meisten Männer um ihn herum fast um Haupteslänge überragte. Seine fröhlichen Augen blitzten amüsiert.
    »Den kenne ich«, sagte Fygen überrascht, als sie den Kaufmann

Weitere Kostenlose Bücher