Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Fygen Katryn nun führte. Sie half ihr aus den nassen Kleidern, brachte sie zu Bett und stopfte die Decke um sie herum gut fest, denn trotz der Wärme, die sich hartnäckig im Hause hielt, schauderte Katryn, und ihre Haut fühlte sich klamm und feucht an. Winzige Perlen kalten Schweißes traten ihr aus den Poren, und ihre Augen flackerten unruhig.
In der Nacht kam dann das Fieber. Fygen hatte Katryn ihr Nachtessen ans Bett gestellt, doch als sie vor dem Zubettgehen noch einmal nach der Freundin schaute, war der Teller immer noch unberührt. Katryn fror, und ihr schlanker Körper zitterte unter der Bettdecke. Fygen begann, sich ernsthafte Gedanken zu machen.
»Es ist nichts«, beruhigte Katryn sie. »Ich habe mich bei dem Regen sicher nur verkühlt.« Doch ihre Stimme klang müde und erschöpft, und Fygen beschloss, noch eine Zeit lang bei ihr zu bleiben. Sie zog sich einen Hocker heran, und beim matten Licht einer Kerze auf dem Nachtkasten hing sie ihren Gedanken nach. Es war vorrangig natürlich der Krieg, der ihr Sorgen bereitete. Sie hatte noch keine rechte Vorstellung davon, was es für sie und alle, die ihr lieb waren, bedeuten konnte, wenn die Stadt angegriffen würde. Es war vielmehr eine ungreifbare und dadurch umso schrecklichere vage Angst. Dazu kam die ganz reale Sorge um Mertyn, der noch nicht von seiner letzten Englandreise zurückgekehrt war, obwohl sie seine Rückkehr bereits vor Ende des Monats erwartet hatten, und auch um Peter Lützenkirchen, mit dem er zusammen reiste. Natürlich nur aus rein geschäftlichen Gründen. Etwas anderes würde sie nicht einmal sich selbst eingestehen. Mit Katryns Einvernehmen hatte sie nämlich, nachdem sie ihre Schulden bei ihm abgearbeitet hatte, weiterhin nebenbei für ihn gewebt und sich ein wenig eigenes Geld verdient.
Vor drei Jahren, kurz nachdem Fygen zu ihm und Katryn gezogen war, hatte Mertyn seine Anstellung bei Heinrich Overbach aufgegeben und sich im Englandhandel selbständig gemacht. Fygen konnte sich noch gut an den Abend erinnern, als Peter gut gelaunt, einen Krug guten Weines unter dem Arm, in das Haus Zum Roden Gevel gekommen war. Sie hatten sich alle um den großen Tisch in der Stube versammelt und lauschten überrascht dem Angebot, das Peter seinem Freund zu machen hatte. »Ich habe einen Kaufmann an der Hand, der könnte Geld in dein Unternehmen stecken«, erklärte er aufgeregt, und die widerspenstige Haarlocke fiel ihm unternehmungslustig in die Augen. »Er finanziert die Reise, du fährst nach London, kaufst mit seinem Geld Wolltuche ein und verkaufst sie hier mit Profit«, fuhr Peter begeistert fort. »Er verlangt nur eine Verzinsung von zehn Prozent des Geldes, das er dir gibt.«
Mertyn legte skeptisch die Stirn in Falten, und seine dunklen Augenbrauen verschwanden fast unter dem Haarschopf. Das klang verlockend, doch er hatte gelernt, dass niemand etwas zu verschenken hatte, am wenigsten ein Kaufmann. »Und wenn das Schiff gekapert wird oder die Ware untergeht?« In der Tat lag darin die große Gefahr, und Mertyn hatte instinktiv den entscheidenden Punkt gefunden. Wenn er dafür geradestehen sollte, könnte das ein schnelles und endgültiges Ende aller seiner Unternehmungen werden.
»Das Risiko geht er ein«, sagte Peter ruhig, doch Mertyn blieb misstrauisch.
»Warum geht er dann nicht selbst nach London?«, wollte er wissen.
»Dazu ist er zu alt, wie er sagt.«
»Wer ist denn dieser geheimnisvolle Kaufmann?«, mischte Katryn sich nun in das Gespräch der Männer. »Kennen wir ihn?«
»Ich musste ihm versprechen, dass sein Name nicht in Erwähnung tritt. Vielleicht mag er nicht, dass bekannt wird, in welche Geschäfte er sein Geld steckt. Aber seid versichert, es ist ein höchst angesehener und seriöser Geschäftsmann«, erklärte Peter. »Du kannst bei der Sache nur gewinnen, Mertyn. Glaub mir.« Peter schien von der Sache so überzeugt, und seine jungenhafte Begeisterung war so ansteckend, dass sie bald darangingen, die Unternehmung in allen Einzelheiten zu planen. So würde Mertyn zunächst die Gewandschnittkonzession beantragen müssen, die Genehmigung, mit kölnischem und auswärtigem Tuch zu handeln, um die Stoffe hier weiterveräußern zu dürfen. Das war zwar nicht schwierig, doch ein wenig kostspielig. Der Rat der Stadt ließ sich diese Konzession mit zehn Gulden teuer bezahlen. Bereits wenige Wochen nach diesem schicksalhaften Abend waren die beiden Freunde und Englandfahrer, Peter Lützenkirchen und Mertyn Ime Hove, zu
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