Die Seilschaft
habe sie von Anfang an gehasst. Ich möchte nicht wissen, wie viele Frauen er hier schon verführt hat.
Damit ist es vorbei
, hat er mir geschworen.
Ab jetzt gibt es nur noch dich. Mein Ehrenwort.
Haben Sie das gehört? Sein Ehrenwort darauf. Dass ich nicht lache. Ab da hätte mir alles klar sein müssen.»
Ihr alter Zorn erwachte zu neuem Leben.
«Lügner, Lügner, Lügner. Ich könnte ihn …»
«Was?»
«… ans Messer liefern.»
«Wie?»
«Ich weiß viel über ihn. Mehr, als er ahnt.»
«Werden Sie es tun?»
Ihr Zorn verrauchte so schnell, wie er gekommen war.
«Er weiß auch ein paar Dinge über mich. Wieso bin ich nur so dumm gewesen, ihm zu vertrauen.
Teile und herrsche
, so heißt es doch? So ein dummer Anfängerfehler.»
9
Die Nacht hatte Kilian auf dem unbequemen Sitz eines ICE verbracht. Wer auch immer gesagt hat, Reisen mit der Bahn seien entspannend, der sollte jetzt mal seinen Rücken spüren.
Im Morgengrauen öffnete er leise die Wohnungstür. Pia schlief noch, und sie tat es überraschend fest. Nachdem er geduscht und eine Kanne Kaffee durch die Maschine hatte laufen lassen, war noch immer nichts von ihr zu hören. Erst als der Duft des Kaffees durch die Wohnung strömte, hörte er ächzende Geräusche aus dem Schlafzimmer.
«Hast du Brötchen mitgebracht?», fragte Pia.
Ihr dicker Bauch füllte das weite T-Shirt aus. Mit schmerzendem Rücken ließ sie sich auf einen Stuhl nieder.
«Vollkorn, Dreikorn, Weltmeisterbrötchen, Fitnesskipf. Alles öko und frisch», antwortete Kilian und wies auf den reichgefüllten Brotkorb. «Greif zu.»
«Tut es nicht auch ein einfaches Brötchen?»
«Du brauchst etwas Gesundes.»
Er hielt ihr den Brotkorb hin.
Pia griff lustlos zu. «Wie war München?»
«Wie erwartet. Keiner will die Wahrheit sagen. Manchmal frage ich mich, ob das ein Volkssport geworden ist.»
«Wie lautete die größte Lüge?»
Kilian dachte kurz nach.
« Ich freue mich, Sie zu sehen
, gefolgt von
Rufen Sie mich an, wenn Sie Hilfe brauchen
.
»
«Die Welt ist einfach schlecht.»
Pia biss in ihr reichbelegtes Brötchen. An der Seite tropfte Marmelade heraus. Aber da war noch etwas anderes.
«Was ist das?», fragte er.
«Olivenpaste.»
«Und das schmeckt?»
«Wenn du wüsstest, was sich alles in den Bäuchen der Leichen befindet, die ich täglich aufschneide.»
«Danke, das reicht.» Lustlos legte er sein Brötchen auf den Teller zurück. «Hast du Schorsch gesehen?»
«Es geht ihm so weit gut, sagt er. Sein Arzt ist da aber anderer Meinung.»
«Was sagt er?»
«Schorsch tut so, als ginge es ihm gut. Dabei wandelt er auf einem dünnen Grat. Ich fürchte, das wird ein langer Klinikaufenthalt werden.»
«Woraus schließt du das?»
Pia leckte das Messer ab, das sie in die Nusscreme getaucht hatte. Kilian nahm es ihr aus der Hand.
«Hör auf damit. Willst du dir die Zunge abschneiden?»
Unbeeindruckt ließ sie es geschehen und nahm stattdessen Kilians Brötchen.
«Er gesteht sich nicht ein, dass er krank ist. Er glaubt immer noch, das wäre eine vorübergehende Sache.»
«Ist es das nicht?»
«Wer weiß das schon. Manche kriegen das ihr Leben lang nicht mehr los. Sie müssen lernen, damit zu leben. Aber zuvor heißt es, die Krankheit anzunehmen. Erst dann beginnt der Heilungsprozess.»
«Wie könnte der aussehen?»
«Viele Gespräche. Er muss sich öffnen und herauslassen, was ihn krank gemacht hat.»
«Und dann?»
Pia zuckte mit den Schultern.
«Reprogrammieren, nehme ich an, oder gleich ein neues Leben beginnen – was natürlich nicht geht, niemand fängt von neuem an. Es ist immer ein Aufsetzen auf dem Alten, ein Weitermachen, aber ohne die Fehler von früher zu wiederholen. Es ist …»
Sie stand auf, quälte sich zum Bücherregal und fand schnell das Gesuchte. «Es ist wie die
Stufen
.»
Kilian verstand kein Wort.
Sie schlug die entsprechende Seite auf und zitierte:
« Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne
… warte, hier ist der entscheidende Satz:
Wohlan denn, Herz, nun nimm Abschied und gesunde.
Hat Hesse geschrieben. Wäre bestimmt auch was für dich.»
«War der nicht drogenabhängig?»
«Halb Würzburg hängt an der Flasche.»
«Deswegen ist es auch nicht gescheiter.»
«Aber zufrieden, und darum geht’s.»
Kilian war nicht überzeugt.
«Ob das der Weisheit letzter Schluss ist? Ich bezweifle es.»
«Es geht ums Loslassen. Wer sich ans Alte krallt, wird mit ihm untergehen. Die Stufen bringen uns voran, sofern wir sie
Weitere Kostenlose Bücher