Die Seilschaft
einer Anzeige. Man einigte sich gütlich, wie es so heißt. Die Eltern des Mädchens erhielten eine Zuwendung der Gemeinde, und damit war die Sache erledigt.»
«Und was hat das mit Günter Wohlfarth zu tun?»
«Sein Name ist damals nie offen ausgesprochen worden, schließlich war er ein angesehenes Mitglied in mehreren Vereinen, Arbeitgeber in der Region und Förderer von Sport- und Kulturveranstaltungen. Auffällig war dann aber doch, dass er den Betrieb an den jüngeren Bruder übergab, um sich ganz plötzlich hauptberuflich der Politik zu widmen. Seitdem lebt er in der Nähe von München und hat sich ein neues Leben aufgebaut. Die Sache geriet in Vergessenheit.»
«Bis er sich entschlossen hat, wieder in sein altes Dorf zurückzukehren.»
«Ich habe keine Ahnung, was ihn dazu bewogen hat, aber er war fest entschlossen, seinen Lebensabend in der Heimat zu verbringen. Zwischenzeitlich ist aber aus dem Mädchen von damals eine Frau und Mutter geworden. Als sie davon erfuhr,dass Wohlfarth künftig wieder in ihrer Nachbarschaft leben wollte, ging sie an die Presse.»
«Ich habe nichts davon mitbekommen.»
«Wie auch. Es hat sich seitdem nichts geändert. Noch immer ist Wohlfarths Familie größter Arbeitgeber und Förderer in der Region. Heute mehr denn je. Die Presse hat den Vorwurf der Frau in drei Zeilen abgehandelt, und zwar so, als müsste man sich ernsthaft Sorgen um ihren Geisteszustand machen, wenn man erst nach dreißig Jahren seinen Vergewaltiger beim Namen nennt.»
«Trotzdem: Wieso hat sie es nicht früher getan?»
Sie blickte ihn vorwurfsvoll an. «Sie sind ein Mann. Sie haben keine Ahnung, was in einem verstörten und misshandelten Mädchen vorgeht, das von seiner eigenen Familie des dörflichen Friedens wegen verkauft wurde. Machen Sie sich lieber mal darüber Gedanken, wieso ein alter geiler Bock wie Wohlfarth glaubt, er könne sich alles erlauben. Das ist Gutsherrendenken der übelsten Art.»
Kilian nahm sich zurück. «Beruhigen Sie sich, es ist …»
«Nein, das ist es eben nicht», antwortete sie erregt. «Ich kann nicht mehr mit ansehen, wie diese selbsternannten Markgrafen schalten und walten, wie es ihnen beliebt. Ich habe Wohlfarth klargemacht, dass er mit Konsequenzen zu rechnen hat, wenn er weiter das Leben dieser Frau zerstört.»
«Welche Konsequenzen?»
«Dass die Sache ein Nachspiel hat. Es ist mittlerweile eine zweite Frau aufgetaucht, die die gleichen Anschuldigungen gegen die beiden Männer erhebt. Verstehen Sie? Das war kein Ausrutscher einer durchzechten Nacht. Das hatte System.»
Der Zorn in ihren Augen funkelte.
Eine zweite Frau war aufgetaucht.
Der Satz hallte in Kilians Ohren. Der Saubermann Günter Wohlfarth hatte eine dunkle und verabscheuenswürdige Seite,und Ute Mayer würde sie ans Licht bringen, wenn er sich nicht eines Besseren besann.
Sollte Kilian sie deswegen verurteilen?
Mit dieser Frau war nicht zu scherzen, und das ging weit über ihre politischen Ambitionen hinaus. Sie war auf einem Kreuzzug. Werner Schwerdt und Günter Wohlfarth hatten sich in ihren Augen schuldig gemacht und waren beiseitegeräumt worden.
Wer würde der Nächste sein?
Die Frage wurde durch das Erscheinen zweier unerwarteter Gäste beantwortet. Drüben vor dem Gästehaus trafen sich Reiner Schachtner und Werner Schwerdt. Sie redeten kurz miteinander, bevor sie durch die Tür verschwanden.
Ute Mayer blickte wie gebannt hinüber. Mit allem schien sie gerechnet zu haben, aber nicht mit den beiden.
Sie stand auf. «Wenn Sie keine weiteren Fragen an mich haben, würde ich mich gern auf mein Zimmer zurückziehen. Es war ein anstrengender Tag, und ich muss morgen früh raus.»
Kilian ließ sie gehen. Der morgige Tag konnte noch so lang und anstrengend sein, Ute Mayer würde nicht früh zu Bett gehen. Das wusste er jetzt. Sie hatte ein neues Ziel gefunden, und er würde sich ihr in den Weg stellen müssen.
«Ich würde gern ein Zimmer für eine Nacht nehmen», sagte Kilian dem Mann an der Rezeption.
«Tut mir leid», antwortete er, «wir sind ausgebucht.»
«Ich will nicht lange bleiben, nur eine Nacht.»
«Wir sind aber komplett belegt.»
«Kommen Sie, irgendwo werden Sie mich schon noch unterbringen. Es ist wichtig.»
Er zeigte seine Marke.
Der Mann seufzte. Dann nahm er einen Schlüssel vom Brett.
«Es ist nur ein einfaches Dachzimmer mit einem Bett. Normalerweise übernachten dort nur Lieferanten.»
«Egal, ich nehme es. So schlimm wird es schon nicht sein.»
Der
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