Die Seilschaft
wusste sich in Anwesenheit der Presse zu kontrollieren. Sie legte den Schalter um, als sei nichts gewesen.
«Sicher, nur zu», antwortete sie heiter. «Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sie noch mit Geldscheinen nach uns würfen.»
Die Reporterin suchte sich einen freien Platz neben den beiden, der Kameramann tat es ihr gleich. Sie griff Ute Mayers scherzhafte Bemerkung auf.
«Mit allem hätte ich nach Ihren mitreißenden Reden gerechnet, aber nicht damit. Können Sie sich erklären, wer diese Leute sind und was sie damit bezwecken?»
Ute Mayer und Sandra Wagner rückten vor der Kamera zusammen, demonstrierten Eintracht und Entschlossenheit.
«Ewiggestrige», antwortete Ute Mayer, «die nicht wahrhaben wollen, dass die Welt sich verändert.»
Und Sandra Wagner fügte hinzu: «Chaoten und Quertreiber sind das Letzte, was unser Land in diesen Zeiten braucht. Uns stehen große Entscheidungen ins Haus. Sinnloses Opponieren bringt uns keinen Schritt weiter.»
«Soweit ich erkennen konnte», hakte die Reporterin nach, «befand sich unter den Demonstranten Ihr früherer Generalsekretär Werner Schwerdt. Was hat er dort verloren?»
«Wir leben in einem Land der freien Meinungsäußerung. Auch Werner Schwerdt hat diesen Grundpfeiler allen demokratischen Handelns über die Jahre verteidigt. Ich weiß nicht, was ihn plötzlich reitet. Es ist schade um ihn, und es rückt seine bisherige Arbeit in ein zweifelhaftes Licht.»
«Er war einst der Hoffnungsträger der Partei», sagte Ute Mayer, «aber er ist an seinen eigenen Unzulänglichkeiten gescheitert. Das ist bedauernswert, und offensichtlich hat er die Bühne des seriösen politischen Disputs verlassen. Doch lassen Sie uns nicht weiter über Vergangenes sprechen. Ich wette, Sie haben interessantere Fragen als den peinlichen Niedergang Werner Schwerdts.»
Die Reporterin nickte und suchte nach der nächsten Frage, die ihr der Spickzettel vorgab.
«Frau Wagner, was war das für ein Gefühl, als Sie von Ihrer Berufung zur neuen Generalsekretärin erfuhren?»
Sandra Wagner setzte zur Antwort an. Doch der Kameramann unterbrach sie.
«Stopp, da ist jemand im Bild.»
Er zeigte den Gang entlang nach hinten.
Kilian hielt sich gut versteckt in den Sitzen verborgen. Er konnte nicht gemeint sein.
Und er war es auch nicht. Aus der hinteren Tür war ein Mann getreten, der aufgrund seiner Körperfülle den ganzenGang zwischen den Sitzreihen einnahm. Ute Mayer und Sandra Wagner erkannten in ihm den mächtigen Landesgruppenchef Reiner Schachtner. Er keuchte wie ein Walross, während er sich den engen Gang vorarbeitete.
«Reiner», sagte Ute Mayer sichtlich irritiert, «dich haben wir hier nicht erwartet.»
«Eigentlich sollte ich jetzt auch in Aschaffenburg sprechen», antwortete er verärgert, «aber der Chef hat darauf bestanden, dass ich mit euch noch ein Wörtchen …»
Schachtner brach mitten im Satz ab, als er der Kamera und des Mikrophons gewahr wurde. «Sind wir auf Sendung?»
Die Reporterin reichte ihm die Hand. «Johanna Haberer, TV Untermain. Ich interviewe soeben …»
«Jaja, schon recht», schnitt er ihr das Wort ab.
«Möchten Sie sich am Gespräch beteiligen?», fragte die Reporterin.
Ute Mayer und Sandra Wagner verdrehten die Augen. Alles, nur nicht das.
«Wenn ich schon mal da bin», sagte Schachtner selbstgefällig und zwängte sich ächzend in einen Sitz. «Ihre erste Frage, bitte.»
«Eigentlich möchte ich noch das Interview mit Frau Mayer und Frau Wagner zu Ende führen.»
«So lange kann ich nicht warten. Ich muss gleich wieder nach Aschaffenburg zurück. Schießen Sie los, bevor ich mir’s anders überlege.»
«Nun gut», antwortete die Reporterin. «Wieso sind Sie überhaupt in Lohr, wenn sie zur gleichen Zeit in Aschaffenburg sein sollten?»
«Ich wollte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, unserer frischgebackenen Generalsekretärin zu ihrer Berufung zu gratulieren», erwiderte er wenig glaubhaft und gereizt.
Sandra Wagner spielte ein Dankeslächeln.
«Dann sind heute vier wichtige Köpfe der Partei in Lohr versammelt», sagte die Reporterin. «Das hat die Stadt lange nicht gesehen.»
«Wer ist der Vierte?», fragte Ute Mayer.
«Werner Schwerdt natürlich»
Ute Mayer lächelte bitter. «Den können Sie mittlerweile der Opposition zuschreiben.»
«So schnell schießen die Preußen auch wieder nicht», ging Schachtner dazwischen. «Werner Schwerdt hat sich große Verdienste um die Partei erworben
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