Die Seilschaft
…»
«Aber …», setzte Ute Mayer zur Widerrede an, doch Schachtner fuhr ihr über den Mund.
«… und er wird sich bestimmt wieder fangen, wenn er seine privaten Herausforderungen gemeistert hat.»
Ute Mayer lachte grell auf. «Seine was?»
«Seine Frau leidet seit Jahren unter starken psychischen Problemen, und es ist bewundernswert, wie sie gemeinsam dieses Tal der Tränen durchschreiten, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Ich wünschte nur, andere hätten auch so viel Kraft und Rückgrat wie mein Parteifreund Werner Schwerdt. Er hat meine ganze Bewunderung und uneingeschränkte Unterstützung.»
Ute Mayer und Sandra Wagner glaubten nicht recht zu hören. Was machte Schachtner da? Er schlug sich öffentlich auf die Seite Schwerdts.
«Dann scheint die psychische Belastung ein wenig zu viel für ihn geworden zu sein», sagte Sandra Wagner mit beißendem Spott, «er attackiert seine Nachfolgerin in aller Öffentlichkeit.»
Schachtner zeigte sich betroffen.
«Ich habe gerade mit ihm gesprochen, und wenn es nicht so traurig wäre, müsste ich eigentlich darüber schweigen. Aber zu seiner Ehrenrettung sei Folgendes gesagt: Er ist nicht gegenseine Parteifreunde vorgegangen, sondern hat die Demonstranten zur Ordnung gerufen und sie an die Toleranz erinnert, die jedem aufrechten Staatsbürger zu eigen sein sollte.»
«So ein Unsinn», entfuhr es Ute Mayer, «er hat uns …»
Doch für jede weitere Rechtfertigung war es zu spät. Ein Handy klingelte. Die Reporterin nahm das Gespräch entgegen und bekräftigte, dass sie jeden Moment in die Redaktion zurückkäme.
«Vielen Dank», sagte sie aufgeregt, «die Sieben-Uhr-Nachrichten können nicht länger warten. Ich muss los.»
Schachtner zeigte sich über den Verlauf des kurzen Interviews zufrieden. Er hatte anscheinend erreicht, was er wollte – die Aufmerksamkeit von den beiden Frauen weg auf ihn und Werner Schwerdt zu lenken.
Ute Mayer und Sandra Wagner hatten eine unerwartete Niederlage eingesteckt, und wenn Kilian ihren Gesichtsausdruck richtig las, würden sie das nicht ungesühnt lassen.
29
Auf Lohr am Main folgte Marktheidenfeld und schließlich Klingenberg. Es schien fast so, als ob Ute Mayer und Sandra Wagner einen zweiten Wahlkampf neben dem der Partei führten.
Sie beackerten die Ortschaften fernab der gewohnten Stationen. Während Reiner Schachtner sich als die
Stimme Bayerns in Berlin
positionierte, versuchten Ute Mayer und Sandra Wagner mit
Wir in Franken
zu punkten.
Kilian hatte sich an ihre Fersen geheftet, nachdem er sich unerkannt aus dem Bus hatte schleichen können. Er würde Ute Mayer im passenden Moment mit der Bandaufnahme konfrontieren, in der sie Günter Wohlfarth gedroht hatte. Aber das konnte warten.
Denn seit er das Gespräch der beiden Frauen und die offene Konfrontation mit Reiner Schachtner mit angehört hatte, wusste er, dass dieser Konflikt Folgen haben würde. Schachtner hatte Ute Mayer und Sandra Wagner vor laufender Kamera düpiert. Das würden die Frauen nicht auf sich beruhen lassen. Er war gespannt, wann und wie sie zurückschlagen würden. Es konnte jeden Moment passieren, und Kilian würde sich das nicht entgehen lassen.
Werner Schwerdt war auf den beiden Wahlkampfreden in Marktheidenfeld und Klingenberg nicht in Erscheinung getreten, obwohl Kilian ihn in unmittelbarer Nähe der Demonstranten gesehen hatte.
Vielleicht stimmte es, dass Schachtner mit Schwerdt gesprochenhatte. Und vielleicht hatte er ihn zur Besonnenheit aufgerufen. Aber bestimmt hatte er etwas vor. Kilian war gespannt, was das sein würde.
Der Bus bog von der Straße in ein Waldstück ein. Ein Hinweisschild pries eine romantische Übernachtung in den dichten Wäldern und verwies auf das bekannte Wirtshaus im Spessart, in dessen Verfilmung in den Sechzigern Liselotte Pulver als Liebchen des Räuberhauptmanns brilliert hatte.
Kilians Handy klingelte. Es war Schneider.
«Ich habe sie gefunden», sagte er euphorisch.
«Wen hast du gefunden?», fragte Kilian.
«Die Frau, die den Schlüssel von der Waldhütte hat nachmachen lassen.»
Perfekt, dachte Kilian. Noch ein weiteres Indiz, mit dem er Ute Mayer konfrontieren würde. Die Schlinge um ihren Hals wurde immer enger.
«Erzähl, was passiert ist.»
«Der Eisenwarenmann hat den Schlüssel erkannt, den ich ihm gezeigt habe. Er musste einige Händler abklappern, um den passenden Rohling zu finden. Und schließlich war die junge Dame äußerst spendabel. Sie hat ihm ein saftiges
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