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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Zu gefährlich.« »Das ist doch grausam.« Er schnaubte unwillig. »Klar, aber es geht nun mal nicht anders. Die Leute, die mich verfolgen, werden nie damit aufhören, verstehst du? Niemals. Wenn sie mich aus den Augen verloren haben, werden sie bei meinen Eltern die Telefone verwanzen und darauf warten, dass ich vor lauter Heimweh zu Hause anrufe. Und wenn ich das tue, geht eine Minute später die Jagd wieder los.« »Meine Güte«, entfuhr es mir unwillkürlich. Auf einmal begriff ich, dass ich noch überhaupt nichts begriffen hatte. Ich hatte geglaubt zu wissen, wie es ist, verfolgt zu werden, weil ich ein Stück von Armands Flucht miterlebt hatte. Aber in Wahrheit war ich nur Zuschauerin gewesen, eine widerwillige Begleiterin, die nur auf eine Gelegenheit wartete, wieder in ihr bisheriges Leben zurückzukehren. Für Armand dage gen würde es so eine Rückkehr niemals geben. Ich konnte nur ahnen, wie furchtbar das sein musste. Eine Weile hing wieder jeder seinen Gedanken nach. Die Wolken zogen immer stärker zu und sperrten den Mond aus, je weiter wir fuhren, und eine allmächtige Dunkelheit legte sich über die Landschaft. Wie helle Inseln tauchten ab und zu Siedlungen auf, mit beleuchteten, leeren Straßen, entlang derer dünnhalsige Straßenlaternen Spalier standen und sich voreinander verneigten. Und bisweilen tasteten irgendwo weit draußen die Lichtkegel von Autoscheinwerfern um Kurven herum, einzelne Bäume oder Häuser oder Waldränder aus dem Dunkel reißend. »Wie bist du ihnen überhaupt entkommen?«, fragte ich. »Oder umgekehrt – wie konnten sie jemanden mit deinen Kräften eigentlich festhalten?« Ich spürte, dass er zögerte. So, als sei es ihm unangenehm, darüber zu sprechen. »Das ist eine lange Geschichte«, sagte er schließlich nur. Und wie immer, wenn jemand das sagt, ließ er es dabei bewenden. »Na schön«, zuckte ich mit den Schultern, »geht mich ja auch nichts an.« Er erwiderte nichts, starrte nur hinaus in die schwarze Nacht. Wieder ein Bahnhof, ein, zwei Minuten lang, und schon ging es weiter. Ich wurde allmählich schläfrig. Ich suchte eine einigermaßen bequeme Position für meinen Kopf zwischen Lehne, Fensterscheibe und meiner Jacke und war gespannt, ob ich wohl schlafen können würde . . .
    »Es war ein spontaner Entschluss«, sagte Armand plötzlich. »Eine Sache von ein, zwei Stunden, mir alles zu überlegen. An dem Tag war Pierre auf der Beerdigung seines Vaters, deswegen hat er nichts mitbekommen. Ich wusste nicht mal, dass sein Vater gestorben war, so was sagen die einem nicht. Ich sah nur zufällig aus dem Fenster, wie sie mit ihm in ein Auto stiegen und wegfuhren. Und er hatte einen schwarzen Anzug an.« Er zögerte. »Zuerst war ich bloß erleichtert über die Aussicht, ein paar Stunden allein in meinem Kopf zu sein – ohne dass jemand mithörte und gehässige Kommentare dazu abgab. Aber dann ...Es war, als wären meine Gedanken plötzlich auf Touren gekommen, und auf einmal wurde mir blitzartig klar, was für eine einmalige Gelegenheit sich bot. Dass ich fliehen konnte. Ich dachte darüber nach, wie ich es anstellen wollte, und dabei dämmerte mir, dass ich nun auch fliehen musste . Weil ich diese Idee gehabt und ernsthaft erwogen hatte, verstehst du? Denn sobald Pierre zurückkam, würde er meine Gedanken lesen und unseren Aufpassern brühwarm berichten, was los war. Also machte ich, dass ich wegkam.« »Einfach so?«, fragte ich. »Ohne Geld, ohne Landkarten, ohne Ausrüstung?« »Ja. Und auch ohne viel Ahnung, wie das Leben außerhalb des Instituts überhaupt funktioniert. Ich bin zum Beispiel nicht auf die Idee gekommen, mit dem Zug zu fahren, obwohl nicht weit vom Institutsgelände entfernt ein Bahnhof liegt mit ziemlich guten Fern verbindungen.« Ich konnte sehen, dass er grinste. »Was mein Glück war, denn dort hätten sie mich sofort geschnappt.« »Was hast du stattdessen gemacht?« »Ich habe mich von Autos mitnehmen lassen. Während die Agenten des Instituts mit ihren Hubschraubern nach Lyon und Besançon und so weitergerast sind, war ich noch ganz in der Nähe und bin ahnungslos von Dorf zu Dorf gezogen.« »Per Anhalter.« »So ungefähr. Bloß habe ich nicht stundenlang am Straßenrand gewartet, sondern ein bisschen nachgeholfen. Ein ziemlich guter Trick. Ich habe mich versteckt, bis ein Auto vorbeikam, das mir gefiel. Ein Lastwagen, oder ein klappriger Kleinwagen, jedenfalls etwas Unauffälliges. Ich hatte ziemlich rasch heraus, wo ich

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