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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Würfeln abnormal war. Ab dem Augenblick, in dem ich verstanden hatte, dass es bei diesem Spiel wichtig ist, im richtigen Moment die richtige Zahl zu werfen, fielen meine Würfel immer genau so, wie ich es brauchte. Und ab da habe ich nie wieder verloren. Es muss tödlich langweilig gewesen sein, gegen mich zu würfeln. Ich gewann jedes Mal mit haushohem Vorsprung. Meinen Eltern war ich ein Rätsel, aber da sich bald niemand mehr fand, der irgendein Würfelspiel mit mir gespielt hätte, geriet das auch wieder in Vergessenheit. Meine Freunde damals wussten natürlich auch davon, bloß war das nichts, worüber wir uns die Köpfe zerbrochen hätten. Es funktionierte eben. Andere hatten andere Talente. Ein Junge in der Nachbarschaft konnte enorm mit den Ohren wackeln, ein anderer jonglieren, richtig mit vier oder fünf Gegenständen gleichzeitig, und einer war im Stande, eine Kirsche mitsamt Stiel in den Mund zu nehmen, das Fruchtfleisch wegzuessen und mit der Zunge einen Knoten in den Stiel zu machen, alles im Handumdrehen. Und mein Trick war eben das mit den Würfeln.« »Wie alt warst du damals?« »Um die sechs, sieben Jahre. Ich war gerade in der ersten Klasse.« »Hast du Geschwister?« »Ich habe zwei Brüder, beide jünger als ich und ohne jede telekinetische Begabung, falls du das meinst.« »Und was passierte weiter?« »Mein unerklärliches Würfelglück kam dem Lehrer zu Ohren. Du musst dir vorstellen, das war noch eine kleine Dorfschule, mit zwanzig oder dreißig Schülern, alle Klassen in einem Zimmer und von demselben Lehrer unterrichtet. Dieser gute Mann also hörte von meinem Trick, holte mich eines Tages vor an sein Pult und ließ sich vor der versammelten Klasse vorführen, was an den Gerüchten dran war. Ich dachte mir nichts dabei und warf die Zahlen, die er sehen wollte. Er staunte und stellte mir die Aufgabe, drei Würfel quer durchs Klassenzimmer zu werfen, und zwar so, dass alle drei die Sechs zeigten. Eine leichte Übung, fand ich. Ich schleuderte die Würfel mit aller Kraft quer durchs Zimmer, sodass sie in alle Richtungen davonknallten; einer flog durch ein offenes Fenster hinaus und blieb draußen auf der Straße liegen, mit der Sechs nach oben wie die beiden anderen auch. Der Lehrer war schwer beeindruckt. Er hielt uns allen einen langen Vortrag über die Wissenschaft der Parapsychologie, die die übersinnlichen Kräfte des Menschen erforsche, und er erklärte, das, was ich da könne, sei ganz ohne Zweifel eine übersinnliche Kraft; ich sei ein Medium, das die Telekinese beherrsche.« Armand seufzte, verharrte eine Weile in Gedanken versunken und meinte dann: »Er war einfach nur begeistert. Wahrscheinlich ahnte er nicht, was er damit bei mir anrichtete. Aber von dem Moment an, ab dem mein Talent einen wissenschaftlichen Namen hatte, fing ich an, mir etwas darauf einzubilden.« »Oha«, machte ich. »Ich protzte bei jeder Gelegenheit mit meinem Würfeltrick. Einmal kam ein Neuer in die Klasse und ich schloss mit ihm eine Wette, wer die höhere Zahl würfelte, dem müsse der andere einen Monat lang die Schultasche tragen. Er ahnte nichts Böses und verlor natürlich«, erzählte Armand. »Zu allem Überfluss gab mein Lehrer mir auch noch Bücher über Magie und Okkultismus und solchen Unsinn zu lesen, üble Schwarten, in denen von Geistern Verstorbener und von astralen Schwingungen die Rede war. Er hatte eine ganze Bibliothek von solchem Zeug. Das gab mir irgendwie den Rest. Ich fing an, spiritistische Sitzungen zu veranstalten, versuchte mich als Hellseher und Geisterbeschwörer, und wenn ich keine Lust hatte, rauszugehen und mit meinen Freunden ganz normal Fußball zu spielen – und im Lauf der Zeit hatte ich dazu immer seltener Lust –, dann entschuldigte ich mich mit schlechten kosmischen Schwingungen oder behauptete, meine mediale Gabe brauche Erholung. Und es gab nicht wenige Leute, die mir das sogar alles glaubten. Kurzum, ich wurde ein unausstehlicher, eingebildeter kleiner Fatzke, ein richtiges Ekel.« »Und wurdest in der Schule immer schlechter, vermutlich.« »Leider nicht, das hätte mich vielleicht noch gerettet. Aber ich schrieb im Gegenteil laufend die besten Noten und war felsenfest überzeugt, ein Supermensch zu sein. Ich spekulierte allen Ernstes, dass ich vielleicht von einem anderen Stern stammte und nur durch einen Unglücksfall auf die Erde verschlagen worden war oder dass ich der erste Vertreter einer neuen Art Mensch war, die eines Tages den Homo sapiens ablösen

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