Die seltene Gabe
ist.« »Hören Sie schlecht? Ich habe weder Ja noch Nein gesagt. Ich habe gesagt, es geht Sie nichts an.« »Sie scheinen vergessen zu haben, dass einer meiner Mitarbeiter Gedanken lesen kann. Ich brauche ihn nur zu fragen.« Armand lachte trocken auf. »Glaub ihm nicht, Marie. Er weiß genau, dass Pierre in solchen Dingen immer lügt.« Ich verstand nicht ganz, warum das so sein sollte, aber der wütende Blick, den der Hagere Armand zuwarf, war geradezu der Beweis, dass er Recht hatte. Ohne ein weiteres Wort wandte der Mann sich ab, schrie seinen wartenden Leuten ein missgelauntes »Allonsy!« zu, zog die Wagentür zu, schnallte sich an und schnauzte den Fahrer an: »Das gilt auch für Sie.«
Kapitel 17 |
Rings um uns setzte sich alles in Bewegung und wir selbst auch. Mit ein paar umständlichen Vorwärts-und Rückwärtsmanövern in die Wiese hinein gab der Lastwagen vor uns den Weg frei, dann fuhr unser Konvoi an. Gleich darauf rasten wir in rücksichtslosem Tempo über die holprigen Feldwege, dem Stand der Sonne nach ungefähr Richtung Süden, überlegte ich noch, ehe mir endgültig schlecht wurde. Manchmal vertrage ich Autofahren nicht gut, zum Beispiel, wenn ich nach viel zu kurzen Nächten von bewaffneten Überfallkommandos aus dem Bett geholt und von grauhaarigen Geheimdienstleuten unverschämt behandelt werde und dazu auch noch einen Kaffee trinken muss, der wie Gift schmeckt. Gut, vielleicht lag es auch an anderen Dingen, aber jedenfalls heute war wieder so ein Tag. Ich musste mich so weit es ging nach hinten lehnen, sonst wäre mir zweifellos alles, was ich vorhin hinabgewürgt hatte, wieder hochgekommen. »Was ist mit dir?«, fragte Armand. »Mir ist schlecht«, erwiderte ich mühsam. »Gardez le silence!«, kam es sofort barsch von vorn. Seid still. Also waren wir still. Wenigstens rückte mein Bewacher ein Stück zur Seite, bloß leider änderte das nichts daran, dass er stank wie eine ungelüftete Kneipe. Im weiteren Verlauf der Fahrt war ich jedenfalls nicht im Stande, besonders auf die Gegend zu achten, durch die wir kamen. Irgendwann nach einer Zeit, die mir endlos vorkam, gelangten wir zumindest von den Feldwegen auf richtige Straßen, was schon mal ein Fortschritt war. Jede Menge Bäume, ab und zu ein Haus und hin und wieder andere Autos sausten vor den Fenstern vorbei. Ich lag die ganze Zeit, zusammengekauert und halb vom Polster gerutscht, auf meinem Platz und lauschte dem Rumoren meiner Eingeweide. »Marie?«, fing der Hagere irgendwann wieder an. Er schien seine schlechte Laune überwunden zu haben. »Das hier ist doch Ihre Tasche, nicht wahr?« Er hielt meine braune Umhängetasche hoch. Die andere stand noch zu seinen Füßen. Ich bestätigte matt – warum auch nicht? – und fügte hinzu: »Genau genommen gehören mir beide Taschen. Beziehungsweise meinen Eltern.« »Ja, aber diese hier haben Sie bei sich getragen, oder?« Er nahm sie auf den Schoß und zog den Reißverschluss auf, um hineinzusehen! »He!?«, protestierte ich. »Sie haben nicht in meiner Tasche herumzuwühlen.« Er hörte sofort auf damit, wandte sich um und betrachtete uns mit spöttischen metallschwarzen Augen. »Ich wette, Sie fragen sich schon die ganze Zeit, wie wir Sie gefunden haben. N’est-ce pas, Monsieur Armand? Julien hatte den wenig erfreulichen Einfall, Ihr Gehirn zu betäuben und Sie dennoch zu verlieren. Sie waren in Sicherheit. Trotzdem haben wir Sie aufgespürt. Wissen Sie, wie?« Armand gab ein unwilliges Schnauben von sich. »Über Marie vermutlich«, meinte er tonlos. Der Hagere schien höchst amüsiert. » Exactement . Zwei Menschen, allein in einer wahren Einöde, von denen der eine für Pierre nicht aufspürbar war, c’est vrai – aber der andere. Sie, Marie. Sie haben an Armand gedacht. Sie haben sehr intensiv an ihn gedacht.« Er schnurrte beinahe, als er fortfuhr: »Und damit haben Sie ihn verraten, Marie.« Ich starrte ihn an, bemüht, seinem Blick standzuhalten, aber ich spürte dabei etwas wie ein Brennen hinter den Augäpfeln. So ein Mist! Daran hatten wir tatsächlich nicht einen Moment gedacht. »Armand, Armand«, meinte der Hagere und schüttelte dabei kummervoll den Kopf, als sei er der leidgeprüfte Vater eines schwierigen Sohnes. »Sie haben uns sehr viel Kummer gemacht mit Ihrem törichten Verhalten. Haben Sie wirklich geglaubt, Sie könnten uns dauerhaft entkommen? Armand, ich bitte Sie, das ist fast eine Beleidigung. Sie kennen doch unsere Möglichkeiten.« Ich hörte Armand neben
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