Die seltene Gabe
mir geräuschvoll einatmen. Ich sah zu ihm hoch, wollte seinen Blick erhaschen, aber er sah nur finster geradeaus, ins Leere. »Vierzehn Schließanlagen unbrauchbar«, fuhr der Hagere fort. »Siebenundfünfzig zerstörte Videokameras. Das hintere Tor des Instituts – kaputt. Ich gebe zu, dass Sie den unterirdischen Versorgungsgang kennen, damit hätten wir rechnen müssen – aber Armand, die arme Felicita! Sie hat immer noch einen Schock von den hässlichen Gedanken, mit denen Sie sie zum Schweigen gebracht haben. Ich bitte Sie, das Mädchen ist erst sieben Jahre alt.« Ich glaubte, es feucht glänzen zu sehen in Armands Augen. Verstohlen griff ich nach seiner Hand, drückte sie und spürte, als er die meine zurückdrückte, auf einmal die durch nichts gerechtfertigte Zuversicht, dass noch alles gut werden würde. Irgendwie. »Et en plus, Armand – Sie haben uns gekränkt mit Ihrem Verhalten«, fuhr der Hagere fort. »Mit dem Misstrauen, das daraus spricht. Viele der Leute, die für Sie gearbeitet haben, fühlen sich sehr verletzt, das können Sie sich sicher vorstellen.« Er sah Armand an und wiederholte: »Sie können sich das doch vorstellen, Armand, oder?« »Oui«, nickte Armand widerwillig. Ich fand den plötzlichen Mitteilungsdrang des Mannes auf dem Beifahrersitz gelinde gesagt merkwürdig. Es hatte den Anschein, als sei ihm die Fahrt langweilig geworden und als hätte er deshalb beschlossen uns zu zeigen, was für ein toller Hecht er war. Dass mir unübersehbar schlecht war wie nur was, schien er nicht einmal zu bemerken, oder wenn, dann kümmerte es ihn nicht.
»Ich muss Ihnen noch etwas erzählen«, fuhr der Hagere im Plauderton fort. »Etwas, das mit Ihnen zu tun hat, Armand, und mit Ihrer kleinen Freundin. Sie werden es interessant finden, glaube ich.« Ich vergaß beinahe meine Übelkeit. Was um alles in der Welt sollte das jetzt? »Wir erhielten einen Anruf, mitten in der Nacht«, erzählte er. »Claudes Mobiltelefon klingelte, doch zu hören war nur ein ungeheurer Lärm. Während wir noch rätselten, was das zu bedeuten hatte, ließ der Lärm nach, und wir hörten Stimmen. Ihre Stimme, Armand. Und die Stimme eines Mädchens, die wir nicht kannten. Noch nicht.« »Hä?«, machte ich. Ich verstand kein Wort. Der Hagere packte meine Tasche, schob sie nach hinten und Armand auf den Schoß. »Machen Sie sie auf, Armand. Schauen Sie hinein, was Sie darin finden.« Armand rührte sich nicht, saß nur da und starrte ihn steinern an. »Allez-y, Armand, öffnen Sie die Tasche«, drängte der Mann. Was sollte das alles? Ich rutschte ein Stück höher auf meinem Sitz, so weit, wie es sich mit meinem Brechreiz vereinbaren ließ, und sah irritiert zwischen dem grauhaarigen Mann und Armand hin und her. »Comme vous voulez«, meinte der Hagere finster und zog die braune Tasche wieder zu sich nach vorn. Er griff hinein und zog, auf Effekt bedacht wie ein Zauberer, der ein Kaninchen aus dem Hut holt, ein schmales graues Handy hervor, das ich noch nie im Leben gesehen hatte. »Das kennen Sie, n’est-ce pas, Armand? Ein Mobiltelefon, wie es unsere Sicherheitsleute benutzen. Dieses gehört Julien.« Armands Hand in meiner fühlte sich plötzlich kalt und schlaff an, wie ein Stück toter Fisch. »Das haben Sie mir reingeschmuggelt!«, platzte ich heraus. »Das haben Sie in meine Tasche tun lassen, vorhin, ehe wir losgefahren sind!« Der Geheimdienstler beachtete mich überhaupt nicht. »Julien hat sein Mobiltelefon verloren. Er dachte, bei seinem Sturz aus der Waggontür, aber wir wissen jetzt, er muss es im Zug verloren haben. Denn Ihre kleine Freundin, Armand, hat es gefunden. Es war noch eingeschaltet, sie brauchte also keinen PIN-Code. Sie hat es eingesteckt, bei passender Gelegenheit die Wahlwiederholung gedrückt und das Gerät einfach angelassen. Der Letzte, mit dem Julien telefoniert hatte, war Claude gewesen. Der Lärm, den wir hörten, war das Geräusch von Hubschraubern. Es bedurfte nur einer Anfrage bei der Luftüberwachung, um herauszufinden, wo in dem fraglichen Gebiet Hubschrauber unterwegs waren. Aus deren Flugroute und Geschwindigkeit sowie dem Zeitpunkt des Anrufs konnten wir mühelos ermitteln, in welche Richtung Sie beide sich bewegten. Genau genug für unsere Bedürfnisse.« Armand sagte nichts. Er rührte sich auch nicht. Alles, was er tat, war, mit schrecklicher Langsamkeit meine Hand loszulassen.
»Das ist gelogen«, rief ich. »Das ist nicht wahr. Das haben Sie sich ausgedacht.« »Ah,
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