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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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den Boden, ein Geräusch, das laut von den Mauern widerhallte. Auch in der Gasse selbst gab es keine Schilder, nicht einmal Anschlagtafeln an Geschäften oder Wirtshäusern. Nur schiefe nachtschwarze Häuser und geborstene Fensterscheiben. Ein Stück die Gasse entlang entdeckte er einen offensichtlich betrunkenen Kobold, der vor einer Haustür herumlümmelte, und bat auch ihn um Auskunft.
    Der Kobold sah ihn unter laubgrünen Augenbrauen hervor missmutig an. »Gleich dort drüben«, krächzte er und winkte mit einer Klauenhand in Richtung eines hohen, schmalen Hauses fast am Ende der Gasse. Dieses Gebäude war ebenso baufällig wie alles hier. Mr.   Jelliby konnte sich nur schwer vorstellen, dass ein Justizminister sich dort blicken ließ. Ausgerechnet Mr.   Lickerish, mit seiner extravaganten Bekleidung und seiner makellos weißen Haut.
    Mr.   Jelliby dankte dem Kobold und näherte sich mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube dem Haus. Als er nach oben schaute, sah er, dass es von einem kolossalen Knäuel aus Schornsteinen und waberndem Rauch gekrönt war, der einem nicht zu bändigenden schwarzen Haarschopf glich. Er trat durch eine niedrige Tür und stieg eine Treppe hinauf, immer höher und höher, an misstrauisch dreinblickenden Mietern und übelriechenden Kammern vorbei, bis er endlich den fünften Stock erreichte. Dort entdeckte er ein kleines, von Hand gemaltes Schild, das auf eine kleine, von Hand gestrichene Tür wies, auf der schlicht und einfach Mr.   Zerubbabel stand. Kein Wort von mechanischen Wunderwerken.
    Eine Vielzahl rostiger Glöckchen klirrte über der Tür, als Mr.   Jelliby eintrat. Der dahinterliegende Raum war dunkel und wirkte unter der niedrigen Decke äußerst beengt. Was für einen Grundriss er tatsächlich hatte, war bei den vielen Regalen und Stapeln von Maschinenteilen, die überall aufragten, nur schwer zu erkennen. Die Metallskelette halb fertiger Automaten hockten in sich zusammengesunken auf Kisten und starrten aus toten Augen ins Nichts. An der Decke waren kreuz und quer Drähte gespannt, und auf ihnen flitzten mit leisem Quietschen Dutzende kleiner Zinnfiguren auf Einrädern hin und her, Schraubenzieher und Hämmer und Ölkännchen in den Händen.
    In einer Ecke ganz weit hinten erklang ein metallisches Ping, und als Mr.   Jelliby sich umdrehte, stand er vor einem alten Mann, der, über einen Arbeitstisch gebeugt, die Ketten an einer Federwerkschnecke justierte.
    Mr.   Jelliby trat einen Schritt auf ihn zu. »Sir?«, sagte er. Das Wort fiel wie ein Pelzknäuel auf den Boden. Der alte Mann blickte auf, rümpfte die Nase und musterte Mr.   Jelliby durch eine halbrunde Brille.
    »Ja, bitte?«, sagte er und stellte die Schnecke auf den Tisch. Sie ließ ein zufriedenes Surren hören und kroch um einen Krug mit schwarzem Schmierfett herum.
    »Äh – habe ich das Vergnügen, mit Mr.   Zerubbabel zu sprechen?«
    »Ich bin Mr.   Zerubbabel. Ob es für Sie allerdings ein Vergnügen ist, mit mir zu sprechen, bleibt ganz Ihnen überlassen.« Der abgehackten Stimme des alten Mannes war anzuhören, dass er aus besseren Verhältnissen kam, als der unaufgeräumte Laden es vermuten ließ. Auf dem Kopf trug er einen winzigen schwarzen Hut. »Xerxes Yardley Zerubbabel, zu Ihren Diensten.«
    Mr.   Jelliby lächelte dankbar. »Ich habe einen beschädigten Apparat, der in Ihrer Werkstatt gebaut wurde. Er… er ist durch mein Dachfenster gestürzt.« Was er hatte sagen wollen, hatte er beim Frühstück geübt, während er so getan hatte, als sei er in die Times vertieft. Es war etwas völlig anderes gewesen. »Wenn Sie so liebenswürdig wären, mir zu sagen, wohin er unterwegs war, mache ich mich gleich auf dem Weg, ihn seinem Eigentümer zurückzubringen.«
    »Ach, das ist nicht nötig, glauben Sie mir. Wirklich nicht. Ich führe über alle meine Kunden Buch. Bitte zeigen Sie mir den Automaten.«
    Mr.   Jelliby mühte sich, den Vogel aus seiner Tasche zu ziehen. Eine Metallkralle blieb an seiner Hose hängen und löste sich mit einem sirrenden Ping. Der alte Mann verzog das Gesicht. Während Mr.   Jelliby die Federn aus den Stickereien auf seiner Weste zupfte, sagte der alte Mann: »Ach! Der Vogel des Sídhe. Vielen Dank. Ich werde selbst dafür Sorge tragen, dass er ihn zurückerhält.«
    »Oh…« Mr.   Jelliby blickte unglücklich drein. »Könnten Sie mir vielleicht wenigstens sagen, wohin er unterwegs war?«
    Die Miene des kleinen Mannes verfinsterte sich, und Argwohn schlich

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