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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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von Hand hergestellte Einzelstücke. Langlebige Feenbatterien garantieren eine fehlerlose Funktion. Nur auf Bestellung. Angemessene Preise. Und dann die Adresse: Ofenrohrstraße 16 in Clerkenwell, fünfter Stock.
    Clerkenwell? Mr.   Jelliby ließ die Zeitung sinken. Clerkenwell war keine besonders vornehme Gegend. Sie galt sogar als geradezu anrüchig. Und von einem Etablissement namens »Mr.   Zerubbabels mechanische Wunderwerke« hatte er nun wirklich noch nie etwas gehört. Man sollte meinen, ein Gentleman vom Rang eines Mr.   Lickerish würde seine Einkäufe bei den besten Mechalchimisten Londons tätigen. Und nicht in Clerkenwell! Es sei denn, dem Hochelfen kam es gar nicht so sehr auf die Qualität an, sondern auf schnelle Lieferung. Und Verschwiegenheit.
    In dem Moment hatte es an der Tür geläutet. Tante Dorcas war ins Haus gesegelt, Ophelia hatte ihn nach unten gerufen, damit er sie höflich begrüßte, und er hatte sie nach Melusine gefragt.
    Aber jetzt war er den beiden Damen entronnen. Er trat ins Vestibül, schnappte sich Jacke und Hut, die noch darauf warteten, gebürstet zu werden, und eilte hinaus auf das regennasse Pflaster.
    Clerkenwell war vom Belgrave Square ein ganzes Stück entfernt. Es würde, so dachte er bei sich, am einfachsten sein, die endlose Spindeltreppe zur Hochbahn hinaufzusteigen und über die Dächer Londons hinwegzufahren. Besser jedenfalls, als sich einen Weg durch die Straßen zu suchen. Er wagte sich nur selten in die Gegend nördlich der Waterloo Bridge, und schon gar nicht über Ludgate Hill hinaus. Ihn graute bei der Vorstellung, die vielen schmutzigen und gefährlichen Viertel zu durchqueren, die zwischen seinem Zuhause und Clerkenwell lagen.
    Als Mr.   Jelliby atemlos oben auf der Spindeltreppe ankam, streckte ihm ein Automat ohne Beine und Augen, der einem Menschen nicht im mindesten ähnlich sah, aber mit einem Zwiebelbart und einem Zylinder ausgestattet war, eine Zangenhand entgegen. Mr.   Jelliby legte einen Schilling hinein. Die Zangenhand zog sich zurück und verschwand im Rumpf des Automaten. Dann klingelte in seinem Bauch ein Messingglöckchen, er reichte Mr.   Jelliby eine kleine grüne Fahrkarte und bedeutete ihm mit einer stummen Geste, den Bahnsteig zu betreten.
    Die Dampfeisenbahn traf pünktlich ein, und Mr.   Jelliby setzte sich in einen der mit dunklem Holz vertäfelten Fahrgastwaggons. Der Zug setzte sich in Bewegung. Rauch und Wetterfahnen wirbelten an seinem Fenster vorbei. Obwohl es helllichter Tag war, zischelten Gaslampen an den Wänden und saugten den Sauerstoff aus dem Abteil. Bis Mr.   Jelliby in King’s Cross ausstieg, hatte er rasende Kopfschmerzen.
    Dass er jetzt in die verqualmten, höhlenartigen Straßen von Clerkenwell hinabsteigen musste, trug auch nicht eben zu seinem Wohlbefinden bei. Die Luft zwischen den baufälligen Mietskasernen war abscheulich. Sie füllte seine Lunge wie eine Flasche, die mit schwarzer Baumwolle vollgestopft wird, und er rang fortwährend um Atem. Die Bevölkerung zumindest sah weniger gefährlich aus als die Luft. Sie bestand größtenteils aus Frauen, Gnomen und hohlwangigen Kindern. Zweifellos sind die Diebe und Randalierer in wohlhabenderen Gegenden der Stadt am Werk, dachte Mr.   Jelliby bei sich.
    Ofenrohrstraße, Ofenrohrstraße. Gütiger Himmel, gab es denn in Clerkenwell keine Straßenschilder? Mr.   Jelliby suchte die rußgeschwärzten Backsteinmauern ab, die Ladenschilder, von denen die Farbe abblätterte, und die Türpfosten. Schließlich entdeckte er ein Straßenschild, das sich, völlig verrostet, oben auf einem Laternenpfahl an ein Stück Draht klammerte, aber er konnte nicht erkennen, was darauf stand. Jemand hatte es mit blutroten Buchstaben übermalt. Feenland.
    Er eilte die Straße entlang, fand nichts, das wie das Ladengeschäft eines Mechalchimisten ausgesehen hätte, und eilte die Straße wieder zurück. Das tat er mehrmals, bis er endlich den Mut aufbrachte, eine zahnlose Frau in scharlachrotem Unterrock um Auskunft zu bitten. Sie deutete auf eine dunkle Gasse, die zwischen den baufälligen Häusern verschwand. Daran war er schon mindestens fünfmal vorbeigekommen, hatte sich jedoch nicht getraut, sie zu betreten.
    Jetzt ging er langsam hinein. Die Luft war stickig und so zähflüssig wie Teer. Er blickte zu den Häusern hinauf, die sich über ihm einander zuneigten, und ein großer Tropfen rußiges Wasser fiel auf ihn herab. Rasch sprang er beiseite, und der Tropfen klatschte auf

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