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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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keine Ahnung, was Sie im Schilde führen. Wahrscheinlich möchten Sie den armen Kerl ruinieren. Ihn ein wenig erpressen, was? Ihr seid wirklich alle gleich, ihr Engländer und Feen. Schlagt euch so weit auf jede Seite, dass ihr nicht mehr sehen könnt, was dazwischenliegt. Na, wenn schon. Ich werde den Mund halten. In diesem Teil von London ist Geld das Einzige, was zählt. Und wie gesagt, es geht mich ja auch nichts an.«
    Mr.   Jelliby war der Meinung, dass man so etwas Unschönes nicht unbedingt laut aussprechen musste. Er wollte sich gerade sehr kühl von dem Mechalchimisten verabschieden, als die Glöckchen über der Tür läuteten und ein weiterer Kunde hereingeschlüpft kam.
    Und wer sollte es anderes sein als der Feenbutler seiner Lordschaft John Wednesday Lickerish.
    Mr.   Jellibys Hand schloss sich um den Vogel. Langsam, ganz langsam ließ er ihn im Ärmel verschwinden. Eine Klaue blieb an der Manschette hängen. Er will einfach nicht. Wie aus heiterem Himmel fiel ihm ein, dass der Feenbutler mit seinen langen Armen und Fingern einer Gottesanbeterin zum Verwechseln ähnlich sah, einem leichenblassen Insekt. Er musste den Kopf seltsam schief halten, damit er nicht gegen die Decke stieß. Der Messingmechanismus um sein Gesicht herum bewegte sich nicht.
    Ein Schritt. Ein Schritt nach rechts, und Mr.   Jelliby wäre hinter den mit Nieten übersäten Tentakeln einer automatischen Krake verborgen. Aber es war zu spät. Der Feenbutler drehte sich um und sah ihn.
    »Oho!«, winselte er, und Linsen klickten über sein grünes Auge, während es sich auf den Vogel in Mr.   Jellibys Hand richtete. »Was für ein Zufall, Sie hier zu sehen…«

ELFTES KAPITEL

    Kind Nummer zehn
    Die Ziegenfährte schlingerte über den Küchenboden, von der Tür zum Tisch und von den Betten zum Kanonenofen unter den Kräutern, die dort zum Trocknen aufgehängt waren. Mutters Oberkörper hob und senkte sich, das alte Bett knarrte bei jedem Atemzug. Hettie drehte sich in ihrem Schränkchen um und seufzte.
    Bartholomew atmete ganz langsam aus. Worauf hatte es das Feenwesen abgesehen? Was wollte es hier?
    Wenn er es nur nicht eingeladen hätte! Wenn er nur auf Mutter gehört und ihre Warnungen beherzigt hätte! Sie hatte ihm gesagt, was passieren würde. Sie hatte ihn geradezu angefleht, es nicht zu tun. Aber er hatte sich so sehr einen Freund gewünscht. Er sehnte sich nach jemandem, der ihn beschützte, mit ihm redete, der ihm das Gefühl gab, dass er nicht merkwürdig und hässlich war. Nur dass diese Kreatur nicht sein Freund sein würde. Sie würde ihn nicht beschützen, und sie würde auch nicht die Wäschemangel aufziehen. Sie würde nur nachts herumschleichen und Hettie Alpträume in den Kopf setzen. Die Zahl 10 auf dem Blatt Papier in der Dachkammer war auch nur einer von ihren Streichen. Wahrscheinlich kicherte sie sich jetzt in diesem Moment ins Fäustchen.
    Bartholomew biss sich auf die Lippen und folgte den Spuren bis zur Wohnungstür. Die Tür war noch immer abgeschlossen. Weißt du, er steckt den Finger ins Schlüsselloch, und dann springt das Schloss einfach auf. Und anscheinend auch wieder zu. Bartholomew hob vorsichtig den Schlüssel vom Haken und schloss die Tür auf. Dann schlich er auf Zehenspitzen in den Flur hinaus.
    Das Haus war kühl und dunkel. Die Dielenbretter, im Laufe der Jahre ganz glatt gewetzt, schimmerten matt im Licht, das durch das Fenster hereinfiel. Die Aschespur führte nach oben. Sie wurde schwächer, je weiter er ihr folgte, bis sie nur noch ein Hauch auf dem Holz war. Als Bartholomew den dritten Stock erreicht hatte, war sie ganz verschwunden. Aber das spielte keine Rolle. Er wusste, wohin der Hausgeist gegangen war.
    So leise wie der Mond schlüpfte Bartholomew durch die Falltür auf den Dachstuhl hinauf. Dann duckte er sich unter dem ersten Querbalken hindurch und schlich weiter, wobei sein Blick auf der Suche nach einem Hinweis, wo sich das Feenwesen versteckt haben mochte, hin und her huschte. Wenn er es fand, würde er es umbringen. Der Gedanke überkam ihn mit plötzlicher Heftigkeit. Wenn er das kleine Biest fand, würde er ihm den Hals umdrehen. Bevor es Hettie den Hals umdrehte oder Mutter oder ihm.
    Er hörte ein Geräusch und blieb wie angewurzelt stehen. Stimmen, die sich unter dem Dach gedämpft unterhielten.
    »O ja. Das is’ ein Seltsam, wenn ich je einen g’sehen hab.« Die Stimme sprach leise, aber Bartholomew erkannte sie sofort. Dumpf , erdig. Die Singstimme. Nur dass der

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