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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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Niemand kennt irgendwelche Einzelheiten. Jedenfalls hegte ihre Familie irgendwelchen Argwohn gegen ihn, und die beiden Herzchen sind durchgebrannt. Sie wurde enterbt, und niemand hat jemals wieder etwas von den beiden gehört. Furchtbar romantisch, das alles.«
    »Ja, furchtbar…«, sagte Mr.   Jelliby und sank nachdenklich in seinen Sessel zurück.
    Ophelia legte einen besonders feinen Ballen venezianischer Spitze beiseite und sagte: »Darf ich fragen, woher du dieses leidenschaftliche Geschöpf kennst, Arthur?«
    »Ach, ich kenne sie ja gar nicht«, erwiderte Mr.   Jelliby und zuckte ein wenig verlegen mit den Achseln. »Ich habe nur von ihr gehört. Von irgendeinem Gentleman in Westminster. Tantchen, wie lange ist das alles her?«
    »Ach, noch nicht so lange. Lass mich nachdenken.« Sie senkte den Kopf und schloss die Augen. Zwei Sekunden später zuckten sie wieder auf, und Tante Dorcas sagte: »Letzten Monat! Letzten Monat habe ich zufällig gehört, wie Lady Swinton davon erzählte, als ich ihren Unterrock einge… ich meine, als ich sie besucht habe.« Sie warf den beiden einen scharfen Blick zu. »Und dann zwei Wochen später von Madam Claremont, und letzten Dienstag bei der Baroness de Erezaby. Alle Welt spricht davon. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr noch nichts davon gehört habt.«
    »Ja, wie sonderbar. Vielen Dank, Tantchen.« Mr.   Jelliby stand auf und verbeugte sich vor ihr, und dann drehte er sich um und verbeugte sich vor seiner Gattin. »Euch einen guten Tag, meine Lieben. Ich fürchte, ich muss los.«
    Und damit eilte er aus dem Zimmer.
    Nachdem die alte Frau sich neulich von Mr.   Jelliby verabschiedet hatte – er trug den mechanischen Vogel vorsichtig auf einer Kehrschaufel, und seine verletzte Hand war mit einem Stück von Haralds Pyjama verbunden –, war er schnurstracks ins Kaffeehaus an der Ecke des Trafalgar Square zurückgeeilt.
    Er hatte dem Kellner einen Schilling zugeworfen, damit er sich hinsetzen konnte, ohne irgendwelche unnatürlich gefärbten Drinks zu bestellen, und die zerstörte Kreatur auf den wackeligen schmiedeeisernen Tisch gelegt, um sie genauer zu betrachten. Dabei sprang eine Feder zwischen ihren Brustplatten heraus. Mr.   Jelliby fluchte stumm. Der Vogel war hinüber. Die Flügel hingen in Einzelteilen herab, und die schwarzen Augen, die noch vor wenigen Stunden so wachsam gewesen waren, hatten die stumpfe Farbe von Kohle angenommen. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, er hätte den Vogel vom Himmel geschossen.
    Er löste die Kapsel von dem Bein, an dem sie befestigt war, und drehte sie hin und her. Irgendwo musste eine verborgene Klammer sein… Er fuhr mit dem Fingernagel darüber und fand sie. Die Kapsel klickte auf, und ein zusammengerolltes Stück Papier fiel heraus. Es war wie neu, von feinster Qualität und makellos weiß. Vorsichtig rollte er es auf.
    Schick es auf den Mond, stand da in dünnen, krakeligen Buchstaben. Und darunter, mit Tinte bespritzt und unwirsch unterstrichen:
    Kind Nummer zehn folgt bald.
    Mr.   Jelliby betrachtete das Blatt und blinzelte. Las es noch einmal. Drehte es um und schaute auf die Rückseite. Die Worte waren irgendwie seltsam und beunruhigend, aber sie verrieten ihm nichts. Keine Adresse. Kein ›An Soundso mit den besten Empfehlungen von Soundso‹. Nichts über eine pflaumenfarbene Dame. Die ganze Mühe für zehn kurze Wörter, die ebenso gut in einem Feendialekt aus dem Alten Land hätten geschrieben sein können. Warum wollte jemand etwas auf den Mond schicken? Die Post Ihrer Majestät lieferte wohl kaum dorthin. Und Kind Nummer zehn? Wer war…
    Obwohl es ein warmer Tag war, lief Mr.   Jelliby ein eisiger Schauder den Rücken hinunter. Die Geräusche vom Strand – das Klappern der Pferdehufe, das Geschrei der Händler, der Glockenschlag von St.   Martin-in-the-Fields – waren plötzlich weit, weit weg.
    Es waren doch nur neun… Das waren die Worte des Hochelfen gewesen; er hatte sie zu der Dame gesprochen, während Mr.   Jelliby in der Dunkelheit des Kabinetts gelauscht hatte. Kind Nummer zehn war ein Mischling. Mr.   Lickerish wollte ein weiteres Mischlingskind töten.
    Mr.   Jelliby schaute sich um. Es war später Nachmittag, und das Kaffeehaus war gut besucht. Mehrere Paare saßen an den Tischen im Freien, aber auch eine Handvoll einzelner Gentlemen und eine dieser modernen, radikalen Frauen, die Pumphosen tragen und alleine in Cafés gehen. Und sie alle starrten ihn an. Diskret, wie sie

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