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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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sich in seine Stimme. »Nein. Nein, das kann und will ich nicht.«
    Mr.   Jellibys Mundwinkel zuckten. Er schnippte mit dem Finger gegen eine der Federn des Vogels. Trat von einem Fuß auf den anderen. Und sagte dann: »Also gut, hören Sie. Ich arbeite für die Polizei, und die Kreatur, die Ihnen diesen Vogel abgekauft hat, ist ein ruchloser Verbrecher.«
    »Er ist ein Politiker«, sagte der alte Mann, als gäbe es dem nichts hinzuzufügen.
    »Aber er ist auch ein Mörder! Er hat sich überall in London und Bath herumgetrieben, unschuldige Kinder getötet und sie so ausgehöhlt zurückgelassen wie abgestorbene Bäume. Und Ihnen als aufrechtem Engländer gebietet Ihre Ehre, mir zu helfen.«
    Mr.   Zerubbabel stieß ein verächtliches Schnaufen aus. »Erst einmal bin ich kein Engländer. Außerdem ist das die dümmste Geschichte, die ich je gehört habe. Bei der Polizei – da lachen ja die Hühner! Ich glaube Ihnen kein Wort. Und selbst wenn…« Er räusperte sich, zog die Augenbrauen hoch und machte sich wieder an der Schnecke zu schaffen. »…geht es mich nichts an.«
    Mr.   Jelliby warf verzweifelt die Hände in die Luft. »Wie können Sie… was zum… haben Sie denn kein…?« Er ließ die Hände wieder sinken, öffnete seine Brieftasche und fischte zwei glänzende Sovereigns heraus. »Vielleicht überlegen Sie es sich noch einmal anders?«
    Der alte Mann betrachtete die Münzen, riss Mr.   Jelliby eine aus der Hand und biss darauf. Dann musterte er sein Gegenüber eindringlich, stellte sich auf die Zehenspitzen, schaute durch das Fenster in der Ladentür hinaus und sagte in barschem Tonfall: »Lassen Sie mich mein Kundenbuch holen.«
    Wie eine alte Ratte in ihrem Bau verschwand Mr.   Zerubbabel zwischen zwei durchhängenden Regalen. Mr.   Jelliby konnte dort nichts erkennen außer schwärzester Finsternis. Alsbald hörte er jedoch mehrere saftige Flüche, gefolgt von einem Getöse, das das ganz Hause bis in seine Grundfesten erschütterte. Aus einem Glas in seiner Nähe stob ein Schwarm Uhrwerkmoskitos auf. Der alte Mann schaute kurz zwischen den Regalen hervor. »Es ist aufgefressen worden. Einen Moment, wenn ich bitten darf.« Ein weiteres Mal verschwand er in der Finsternis.
    Und erneut krachte es laut, Klauen trippelten über den Boden, und dann kam der alte Mann wieder zum Vorschein, dieses Mal mit einem Stadtplan in den Händen.
    »Also gut!«, sagte er schnaufend. »Wollen wir doch einmal sehen, was wir da haben.« Er breitete den Stadtplan auf einem Haufen verstreuter Bauteile aus und vertiefte sich in ihn. Wie Fliegen huschten seine Augen darüber hinweg. Lange Linien in roter Tinte verliefen quer darüber. Mr.   Zerubbabel zeichnete sie mit einem runzligen Finger nach. »Ich habe einen gefangenen Luftgeist, der die Strecken abfliegt und die sichersten Routen errechnet«, erklärte er. »Er macht Hindernisse ausfindig und misst die Höhe ab, von der aus meine Automaten starten müssen.« Er warf Mr.   Jelliby einen finsteren Seitenblick zu. »Damit sie nicht durch Dachfenster stürzen oder dergleichen.«
    Mr.   Jelliby nickte weise.
    Mr.   Zerubbabel wandte sich wieder seinem Stadtplan zu, legte die Stirn in Falten und klopfte mit dem Knöchel dreimal an unterschiedlichen Stellen darauf. »Das sind die Orte, die er mir genannt hat. Drei Vögel. Jeder Vogel hat seine eigene Route. Und alle fliegen von unterschiedlichen Punkten in London aus los.« Einen Moment lang wirkte er nachdenklich. »Der Vogel, den Sie aufgelesen haben, startet vom Westminster Palace nach Norden. Richtung Yorkshire. Dabei macht er erst einen Umweg nach Osten, um der Asche aus den Fabriken auszuweichen. Der zweite fliegt zwischen Bath und einem Haus an der Blackfriars Bridge hin und her. Und der dritte… das habe ich nie begriffen. Er hat ihn mich so kalibrieren lassen, dass er von einer Dachkammer in Islington dreihundert Fuß nach oben fliegt. Und als ich Bonifaz – meinen Luftgeist – da raufgeschickt habe, um sich ein wenig umzuschauen, hat er nichts gefunden. Nur Wolken und Himmel.«
    Mr.   Jelliby hörte ihm nicht mehr zu. Er hatte, was er brauchte. »Vielen Dank, Sir, vielen herzlichen Dank. Könnten Sie mir noch die Koordinaten aufschreiben? Die Längengrade oder wie das heißt.« Er hielt einen weiteren Sovereign hoch. »Ich wäre Ihnen schrecklich dankbar.«
    Der alte Mann steckte die Münze ein, kritzelte mehrere Zahlenfolgen auf einen vergilbten Fetzen Papier und reichte ihn Mr.   Jelliby. »Ich habe

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