Die Shakespeare-Morde
nach der Probe abgekürzt. Hatte ich vergessen, auf dem Tisch,
der mir als Schreibtisch diente, die Lampe auszumachen? Hatte ich sie
umgestoßen, und sie hatte in meiner Zettelwirtschaft einen
Schwelbrand verursacht, der nur darauf wartete aufzulodern, sobald alle
gegangen waren? Schon einmal war aus reiner Unachtsamkeit das Globe
abgebrannt, gegen Ende von Shakespeares Leben. Damals hatten, wenn ich
mich recht erinnerte, alle fliehen können - bis auf ein Kind.
Mein Gott. Hatten es alle
nach draußen geschafft?
Mach, dass es nicht das Globe
ist, betete ich beschwörend im Rhythmus der ratternden Bahn. Bis ich
endlich bei St. Pauls die Treppen hinaufrannte, zwei Stufen auf einmal,
war es Nacht geworden. Ich rannte durch eine Gasse und kam auf einen
offenen Platz. Wie eine Sphinx lag die massige Kathedrale vor mir und
versperrte mir den Blick auf den Fluss. Ich wandte mich nach rechts und
begann zu rennen, vorbei an dem gusseisernen Gitter um den Kirchhof,
vorbei an den Bäumen, die an der ehrwürdigen Fassade kratzten.
Links um das säulenbewehrte Hauptportal, vor dem eine steinerne Queen
Anne gen Westen nach Ludgate Hill blickte. Und wieder links, im großen
Bogen um die Südfassade herum zu dem
Fußgängerweg, der erst seit Kurzem durch das Gewirr der
mittelalterlichen Gassen schnitt und einen weiten Blick freigab, von der
Kathedrale bis hinüber über den Fluss auf die andere Seite. Ich
bog um die Ecke und blieb wie angewurzelt stehen.
Der Weg neigte sich zum
Fluss. Dort lag die Millennium-Fußgängerbrücke, die in
hohem Bogen über den Fluss zur massigen Backsteinfestung der Tate
Modern am Südufer führte. Noch konnte ich das Globe nicht sehen,
das links neben dem Museum stand. Ich sah nur den mittleren Teil der Tate,
die mehr an das Kraftwerk erinnerte, das sie ursprünglich war, als an
den Tempel moderner Kunst, zu dem man sie ausgebaut hatte. Der alte
Schornstein ragte in die Nacht hinauf. Das neue Obergeschoss, eine breite
Krone aus grünem Glas und Stahl, leuchtete wie ein Aquarium. Im
Hintergrund war der Himmel grellorange.
Normalerweise war dieser Teil
Londons - die eigentliche City, das Bankenherz Englands - nach Einbruch
der Dunkelheit so gut wie ausgestorben, doch jetzt strömten von
überall her Menschen zum Ufer. Ich schloss mich ihnen an, drängelte
mich durch die wachsende Menge. Vorbei an Blumenrabatten und Parkbänken.
Links ein Pub wie bei Dickens, rechts moderne Büros. Auf der Victoria
Street, die der Fußweg kreuzte, herrschte Stillstand. Ich zwängte
mich an roten Doppeldeckerbussen und rundlichen schwarzen Taxis vorbei und
hastete weiter.
Weiter unten verengte sich
der Fußweg. Eine dichte, dampfende, pulsierende Menschenmasse schob
sich auf die Millennium Bridge, jeder wollte einen Blick auf den Brand
erhaschen. Ich verlor den Mut. So würde ich es nie über die Brücke
schaffen. Suchend blickte ich mich um. Doch ich steckte in der Menge fest,
und solange mir keine Flügel wuchsen, kam ich von hier aus
nirgendwohin.
Plötzlich rauschte ein
tiefes Brüllen über das Wasser, und am anderen Ufer stob eine
Rauchwolke in den Himmel, gejagt von einem Funkenregen. Die Menge seufzte,
wogte in Richtung der Brücke, zog mich mit. Rechts tat sich eine
Öffnung auf, und ich entdeckte eine schmale Treppe, die nach unten führte.
Verzweifelt kämpfte ich mich zum Rand, stolperte, rutschte die Stufen
hinunter und war endlich frei.
Ich blieb an einem kleinen
Absatz, drei Meter unter der Millennium Bridge, stehen und blickte zum
anderen Ufer. Das Globe stand in Flammen. Der Rauch quoll über die
Mauern wie schwarzes Blut und wurde vom Dach in die Luft gespien.
Dazwischen leckten die Flammen in die Nacht - wie Zinnen und Wimpel, gelb,
orange und rot.
Das Telefon in meiner Tasche
klingelte. Es war Sir Henry Lee, der alternde Löwe der britischen Bühne,
der mein Stück als der Geist von Hamlets Vater beehrte. »Kate!«,
rief er, als ich das Telefon aufklappte. »Gott sei Dank!« Im
Hintergrund hörte ich das Heulen von Sirenen. Er war dort.
Ich konnte meine Angst nicht
unterdrücken. »Sind alle rausgekommen?«
»Wo -«
»Sind alle draußen?«
»Ja«, sagte er
gereizt. »Alle sind draußen. Du warst die Letzte, die wir
gesucht haben. Wo zum Teufel steckst du?«
Überrascht stellte ich
fest, dass mir Tränen der Erleichterung über die Wangen liefen.
Ich wischte mir
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