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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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unförmiges Gebilde von links vorbei, was
     bedeutete, dass die Flut eingesetzt hatte. Ich kämpfte gegen den
     Schwindel an, als ich still stehen blieb und den Blick über den Fluss
     streifen ließ. Draußen, in der Mitte der Themse, wurde mit den
     Lichtern der Stadt auch das Feuer gespiegelt und in Tausenden von Funken
     gebrochen. Dann nahm ich noch eine Bewegung wahr. Sir Henrys Boot, das auf
     dem Fluss kreuzte. Doch als ich schon erleichtert aufatmete, machte das
     Boot plötzliche eine Wende, und ich erkannte die schwarz-weißen
     Karos der Polizei am Bug. Nicht die Cleopatra. Das Boot rauschte davon und
     verschwand unter der Millennium Bridge.
    Als die Bugwelle die unterste
     Sprosse überspülte und träge gegen die Mauer platschte, hörte
     ich ein Geräusch. Ein Scharren, möglicherweise einen Schritt,
     vom oberen Teil der Leiter. Wieder spürte ich Blicke im Rücken.
     Vielleicht hatte Sir Henry am Steg angelegt, redete ich mir ein, und war
     nun am Ufer auf der Suche nach mir. Ich drehte mich um.
    Doch oben in der Mauernische
     war nichts zu sehen bis auf flimmerndes Mondlicht. »Hallo?«,
     rief ich. Ich bekam keine Antwort.
    Plötzlich hörte ich
     etwas, das ich aus dem Theater kannte: das kalte, scharfe Zischeln, wenn
     eine Klinge aus der Scheide gezogen wurde.
    Ich stieg eine Sprosse nach
     unten. Dann noch eine. Die nächste Sprosse lag bereits unter Wasser.          
    Verzweifelt spähte ich
     hinaus auf den Fluss. Kein Boot in Sicht. Wo zum Teufel blieb Sir Henry?
     Warum war ich ganz allein an diesem gottverlassenen Ort? In New York oder
     Boston wäre ich nie so dumm gewesen. Was zum Henker hatte ich mir bloß
     gedacht?
    Ich sah wieder nach oben. Ich
     starrte in die Dunkelheit, doch wer immer dort war, er verhielt sich still
     und regungslos - falls da überhaupt jemand war. Vielleicht spielten
     mir meine Nerven einen Streich. Vielleicht auch nicht.
    Im Augenwinkel sah ich eine
     Bewegung unten am Wasser. Auf beiden Seiten glucksten Ketten an der Mauer.
     Ein Stück links von mir war ein kleines Ruderboot festgemacht, das
     sachte in den Wellen dümpelte. Wenn ich es dorthin schaffte, könnte
     ich mich in Sicherheit bringen.
    Dann sah ich, dass es nicht
     vertäut war. Jemand musste die Leine gelöst haben, denn es
     bewegte sich langsam an der Mauer entlang auf mich zu.
    Panisch suchte ich die andere
     Seite ab. Ich saß in der Falle. Der einzige Ausweg war der Fluss.
     Ich starrte das Wasser direkt unter meinen Füßen an und fragte
     mich, wie stark die Strömung war. Konnte ich ans andere Ufer
     schwimmen? Oder wäre es besser, geräuschlos ins Wasser zu
     gleiten und mich treiben zu lassen, bis ich die nächste Leiter in der
     Mauer fand?
    Ich warf einen Blick zurück.
     Die Umrisse des Boots waren nur schwer auszumachen, doch was ich sah, genügte.
     Es kam näher. Verzweifelt schaute ich mich auf den unteren Sprossen
     der Leiter um und durchsuchte meine Taschen, doch ich fand nichts, das
     sich im Entferntesten als Waffe benutzen ließ. Kein Stock oder loser
     Stein war zu sehen, und in den Taschen hatte ich nichts als ein paar Münzen
     und Ros’ goldene Schachtel. Ihr Geheimnis.
    Pass gut darauf auf, hatte
     sie gesagt. Meinte sie damit, dass die Schachtel in Gefahr war? Und ich
     mit ihr, solange ich sie aufbewahrte?
    Zur Hölle mit der
     verdammten Schachtel.
    Dann hörte ich ein
     Knattern. Wie ein eleganter weißer Pfeil schoss ein privates
     Motorboot unter der Millennium Bridge hervor. Die Cleopatra. Vorsichtig,
     um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, hob ich den Arm und winkte steif.
     Für einen langen Moment erhielt ich keine Antwort. Dann stand Sir
     Henry an der Reling und winkte zurück.
    Hinter mir war das Ruderboot
     stecken geblieben; das Klatschen gegen die Bootswand hörte sich plötzlich
     anders an. Dann kam die Cleopatra tuckernd näher und übertönte
     jedes weitere Geräusch, bis Sir Henry den Motor zurückschraubte.
     Im gleichen Moment hörte ich, wie die oberste Sprosse der Leiter
     knarrte. Jemand war dort. Als ich mich umdrehte, sah ich Stahl aufblitzen.
    Mit einem Sprung warf ich
     mich über die Reling der Cleopatra und landete zu Sir Henrys Füßen
     auf dem Deck.
    »Alles in Ordnung mit
     dir?«, rief Sir Henry.
    Ich rappelte mich auf die Füße
     und winkte ihm zu. »Los!« Sir Henry nickte dem Steuermann zu,
     der den Rückwärtsgang einlegte. »Wo warst du denn?«,
     rief ich keuchend, als das Boot die Mauer hinter sich ließ.

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