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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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mit dem Handrücken über die Augen. »Ich
     stehe am falschen Ufer.«
    »Herrgott noch mal.
     Warte.« Er hielt das Telefon zu, und die Geräusche im
     Hintergrund verschwammen.
    Mit Anfang sechzig war Sir
     Henry seit nunmehr drei Jahrzehnten ein prominentes Gesicht auf Bühne
     und Leinwand. Im Zenit seiner Karriere hatte er Achilles, Alexander und
     Artus gespielt, Ödipus, Cäsar und Hamlet. Er war ein Ästhet
     der alten Schule mit einer Vorliebe für die Savile Row, Bentleys,
     Chauffeure und Veuve Clicquot (»Wenn es um Champagner geht, können
     die Zaren nicht falschgelegen haben«). Seine Kindheit hatte er in
     raueren Verhältnissen verbracht, und bei Gelegenheit prahlte er mit
     seiner Herkunft. Er war der Nachkomme von Themsenschiffern - die stämmigen
     Arme seiner Väter hatten jahrhundertelang den Fluss durchpflügt,
     hatten Güter und Menschen auf und ab und hin und her gefahren. In
     seinen Adern fließe grüner Themsenschlamm, sagte Sir Henry gern
     und griff dabei auf den breiten Dialekt der Docks seiner Jugend zurück.
     Und nach ein paar Gläsern konnte er immer noch zuschlagen wie ein
     Dockarbeiter.
    Wir hatten uns vor sechs
     Monaten kennengelernt, als ich das Angebot bekam, in einem kleinen Theater
     an einer zweifelhaften Ecke des West End Regie zu führen, und sofort
     zusagte. In letzter Minute hatte Sir Henry eingewilligt, für zwei
     Wochen die Hauptrolle zu übernehmen, weil er dem Dramatiker
     irgendeine Gefälligkeit schuldete. Nach wenigen Tagen begann er mich
     »unser brillantes Kind aus Amerika« zu nennen, ein Titel, der
     mich zum Stottern brachte, wenn er mich damit vorstellte - und dazu, mir
     wahlweise Kaffee oder Wein über die Bluse zu schütten. Das Stück
     war schlecht und blieb nur zwei Wochen auf der Bühne; doch drei Tage
     später erhielt ich den Anruf vom Globe. Ich war mir sicher, dass ein
     Zusammenhang bestand, doch Sir Henry wollte nicht zugeben, dass er die
     Strippen gezogen hatte.
    Jetzt war er wieder am
     Apparat, und ich hörte ihn brüllen: »Was für ein
     Quatsch. Ich habe euch gesagt, dass sie da ist… Tut mir leid«,
     sagte er dann zu mir, und seine Stimme verwandelte sich von Stahl in
     Seide. »Wie ich höre, sind die Brücken hoffnungslos
     verstopft. Schaffst du es irgendwie hinunter zum Uferweg?«
    »Wenn die Treppe unter
     der Millennium Bridge dahin führt, ist es meine einzige Wahl.«
    »Unter der -?…
     Ausgezeichnet! Wenn du am Ufer bist, wende dich nach Osten. Die erste Lücke
     in der Mauer führt zu einem alten Steg. Darling, die Cleopatra ist in
     fünf Minuten da.«
    »Die Cleopatra?«
    »Mein neues Boot.«
    *
    Der Uferweg war düster
     und menschenleer. Der Mond warf lange Schatten auf das Pflaster; das
     Geschrei und der Lärm der Menge wirkten hier unten weit weg und
     bedeutungslos. Ich wandte mich nach Osten. Mit der rechten Schulter
     streifte ich die dicke Flussmauer, links zogen verhärmte graue Gebäude
     an mir vorbei. Laternen in der Mauer verströmten gedämpftes
     Licht. Ein Stück weiter ragte eine schmalere Mauer aus dem Damm. Ein
     Treppchen führte in einen Puppengarten mit seltsam verkümmerten
     Blumen. Rechts öffnete sich eine Lücke ins Nichts. Ich musste jähen
     Widerwillen unterdrücken, als ich über den Rand blickte.
    Feuchte, salzige Luft schlug
     mir von unten entgegen. Ich wich schaudernd zurück. Falls dies die
     richtige Stelle war, musste Sir Henry jeden Moment hier sein. Also zwang
     ich mich, an der Kante stehen zu bleiben. Eine Holzleiter führte nach
     unten, glitschig und mit schwarzen Algen bewachsen. Ein Geländer gab
     es nicht. Ich hielt mich rechts und links an der Mauer fest und setzte den
     Fuß auf die erste Sprosse. Das Holz knarrte, doch es trug mein
     Gewicht. Ich warf einen Blick nach unten. Die Bolzen, mit denen die Leiter
     an der Mauer befestigt war, schienen noch aus den Tagen der römischen
     Kreuzigungen zu stammen. Von einem Steg war weit und breit nichts zu
     sehen. Fünf Meter unter mir tauchte die Leiter ins Wasser.
    Ich versuchte, über den
     Fluss zum Südufer zu sehen. Etwa auf der Höhe des Globe glitt
     ein Schatten über die dunkle Wasseroberfläche. Die Cleopatra? Es
     musste ein Boot sein. Ja - es hielt direkt auf mich zu. Dies musste die
     richtige Stelle sein.
    Sprosse für Sprosse ließ
     ich mich die rutschige Leiter hinunter, bis ich etwa einen Meter über
     dem Fluss stand. Das Wasser war so glatt wie dunkles Glas. Hin und wieder
     trieb ein stinkendes,

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