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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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Marmorflächen, grünem Rasen und Barrikaden.
     Dahinter erhob sich die Kuppel des Kapitols.
    Zwei Blocks weiter westlich,
     hatte Dr. Sanderson mir ausrichten lassen. Mit einer hübschen
     Aussicht auf den Sonnenuntergang. Eine Welle der Sympathie erfasste mich,
     als ich auf dem Schotterweg unter Ulmen und Ahornbäumen den Südflügel
     des Kapitols umrundete. Hier war es kühler, zumindest bildete ich es
     mir ein, weil die Brise im Laub der Bäume raschelte.
    Wie versprochen hatte man vom
     Kapitol nach Westen den besten Blick auf den Sonnenuntergang in der ganzen
     Stadt. Am anderen Ende der National Mall leuchtete der weiße Obelisk
     des Washington Monument, während die Sonne tief am dunstigen Himmel
     stand. Vom anderen Ufer des Wassers wurden die fröhlichen Klänge
     einer Sousa-Band herübergetragen. Normalerweise zog ich das bunte
     Treiben von New York und London, wo sich die Moderne mit der Vergangenheit
     vermischte, der ehrfürchtigen Atmosphäre eines Ortes wie diesem vor. Doch ich musste zugeben, in
     der Stille eines Sommerabends war die Mall wunderschön.
    Mein Blick schweifte über
     die weiten Marmor- und Rasenflächen vor dem Kapitol. Für das
     Wochenende des Unabhängigkeitstags war es merkwürdig leer, nur
     ein vereinzeltes Liebespaar schlenderte durch den Park, und ein paar Männer
     in Anzügen eilten mit gesenkten Köpfen irgendwohin. Die letzte Führung
     durch das Kapitol war vorbei, und die meisten der Angestellten hatten längst
     Feierabend. Für das Nachtleben war es noch zu früh - und zu heiß.
     Die wenigen, die da waren, hatten sich um die Band auf der anderen Seite
     des Wassers versammelt.
    Von Dr. Sanderson war nichts
     zu sehen, doch ich war früh dran. Ich drehte mich um und stieg die
     mit Topfpalmen gesäumte Freitreppe hinauf, den Blick hinauf zur weißen
     Kuppel gerichtet. Auf dem ersten Absatz blieb ich stehen und blickte zurück
     auf die grüne und weiße Stadt.
    Links unter der Balustrade
     hatte die Dunkelheit bereits die Magnolien erreicht. Ein paar späte
     Blüten hingen wie Sichelmonde zwischen den dunklen, fleischigen Blättern.
     Ich schlenderte die Stufen hinunter auf die Bäume zu. Auf halbem Weg
     nahm ich im Farn eine Bewegung wahr.
    Zögernd ging ich eine
     Stufe weiter, dann noch eine. Dort unten lag jemand im Farn, wie am Grund
     einer tiefen Grube.
    »Hallo?«
    Keine Antwort. Ich lief die
     Treppe hinunter und an der Marmorbalustrade vorbei, dann stieg ich
     vorsichtig den Abhang hinauf und erreichte die Bäume. Hier herrschte
     bereits tiefe Nacht. Ich blieb stehen, um meine Augen an die Dunkelheit zu
     gewöhnen. Am Boden lag ein Mann und schlief. Ich kam näher. Ein
     Mann mit grauem Haar und einer roten Fliege.
    Ich ließ den Mantel
     fallen und rannte zu ihm. Dr. Sanderson lag ausgestreckt am Boden, seine
     Brust war mit Stichwunden übersät. Jemand hatte ihm die Kehle
     durchgeschnitten, und die Wunde über seiner Fliege klaffte wie ein
     zweiter, schlaffer Mund. Ich hatte ein Rauschen in den Ohren und den
     metallischen Geschmack von Blut im Mund. Die Fliegen hatten ihn bereits
     entdeckt. Würgend ging ich in die Knie. Dann sah ich das
     zerknitterte Papier in seiner Hand. Ich beugte mich über ihn.
    Im gleichen Moment stülpte
     mir jemand von hinten eine Kapuze über den Kopf und warf mich zu
     Boden.
    Meine Bücher fielen mir
     aus der Hand, und ich bekam keine Luft, konnte nicht einmal schreien. Dann
     war er über mir, stopfte mir einen Knebel in den Mund, riss meine
     Arme nach hinten und fesselte mich. Mit einer Hand griff er mir zwischen
     die Beine.
    Mit aller Kraft rollte ich
     mich zur Seite und warf ihn ab. Ich rappelte mich auf die Knie, doch er
     packte mich und riss mich wieder zu Boden. Mein Kopf schlug so hart auf
     dem Boden auf, dass ich Sternchen sah, dann wurde alles weiß.
    Einen Moment lang rührte
     ich mich nicht. Ich darf nicht ohnmächtig werden, dachte ich. Allmählich
     verblasste das grelle Licht, und ich kam wieder zu mir. Regungslos lag ich
     da und lauschte. Er stand über mir. Was machte er? Unter der Kapuze
     konnte ich nichts sehen, und schlimmer noch, ich hörte nichts als
     sein leises Atmen. Messer machen kein Geräusch, wenn sie gezogen
     sind.
    Als er sich breitbeinig auf
     mich kniete, riss ich das Knie hoch, so fest ich konnte.
    Ein dumpfes Grunzen, und er
     sackte zur Seite. Ich hoffte, ich hatte seine Weichteile erwischt. Rasch
     rollte ich mich weg. Ich fühlte Blätter und Äste um mich
    

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