Die Shakespeare-Morde
lateinisches Wortspiel zu Ehren eines Mannes, dessen Familienmotto ein
Wortspiel ist.«
Bens unverhohlene Bewunderung
ärgerte mich. »Ein obskurer lateinischer Satz, der vielleicht
ein Wortspiel ist, vielleicht auch nicht, und der Shakespeares erster
Theateraufführung mehr als zehn Jahre zuvorkam. Das sind fünfzehn
Jahre, bevor sein Name je auf einem Titelblatt auftauchte. Das ist kein
Beweis. Das ist ein Zufall.«
»Ich glaube nicht an
den Zufall«, gab Athenaide zurück, die vor dem Porträt der
Königin stehen geblieben war. »Aber wenn wir schon von Zufällen
sprechen, es ist belegt, dass das Wortspiel, das Sie nicht anerkennen
wollen, in Gegenwart der Königin laut vorgetragen wurde: in Audley
End, dem Familiensitz der Howards, für die wir uns neuerdings so
brennend interessieren.«
Ihr Telefon schrillte, und
sie nahm ab. »Herrgott noch mal«, knurrte sie. »Ich
komme sofort«, sagte sie dann und legte auf.
»Was ist passiert?«
»Professor North ist
nicht in sein Flugzeug gestiegen. Wenn Sie mich entschuldigen, ich muss
die Feuerwehr spielen. Bis Nicholas zurückkommt, bin ich wieder da.«
Ben bewegte sich nicht von
der Tür. »Beim nächsten Mal bitte allein«, sagte er
nachdrücklich.
Sie sah ihn mit funkelnden
Augen an. »Ich bin mir meines Fehlers bewusst, Mr Pearl. Es wird
nicht wieder Vorkommen. Ich habe Ihnen Ihre Bücher auf den Tisch
gelegt, Katharine. Danken Sie mir, wenn ich zurück bin.«
Er trat zur Seite, und sie
segelte hinaus.
»Was wissen Sie von
diesem North?«, fragte Ben, als er die Tür abschloss.
»Er hat ein Buch
geschrieben, in dem er behauptet, dass Oxford Shakespeare war. Ansonsten
nicht viel außer dem, was Matthew gesagt hat.«
»Aber er ist
Shakespeare-Experte?«
»Ja.«
»Warum, meinen Sie,
taucht er nicht auf? Reine Schüchternheit?«
»Zu seinem Profil würde
es passen.«
»Es würde auch
dazu passen, was mit anderen Shakespeare-Experten geschehen ist.«
Abrupt setzte ich mich.
»Sie meinen, er könnte das nächste Opfer sein?«
»Ich meine, jemand
sollte diese Möglichkeit in Betracht ziehen.« Er streckte sich.
»Aber nicht wir. Kate - wir müssen anfangen darüber
nachzudenken, was wir als Nächstes tun. Geht es nach Henley-in-Arden?
Ophelias Elternhaus?«
»Wahrscheinlich. Wenn
nicht nach Henley, so zumindest nach England. Genaueres weiß ich
erst, wenn Dr. Sanderson zurück ist.«
»England bedeutet Pässe.
Eine neue Identität. Die Risiken am Flughafen. Es wird nicht einfach.«
»Aber es ist machbar?«
»Ich brauche Zeit.«
»Trotzdem muss ich mir
zuerst den Brief ansehen.«
»Könnten Sie sich
vorstellen, allein hier zu bleiben, während ich die Vorbereitungen
treffe?«
»Ich brauche keinen
Babysitter rund um die Uhr. Schaffen Sie es raus und auch wieder rein?«
»Ohne Sie, ja.«
»Dann gehen Sie.«
Ben stand vor mir. »Machen
Sie niemandem die Tür auf, Kate. Keiner Athenaide, keinem Matthew und
keinem Dr. Sanderson.«
»Keiner Menschenseele«,
antwortete ich.
»Mir können Sie
öffnen.« Er lächelte.
»Woher weiß ich,
dass Sie es sind?«
»Ich klopfe zweimal
langsam, dreimal schnell. Es sei denn, es gibt ein geheimes
Shakespeare-Klopfzeichen.«
»Sehr witzig.«
»Ich bin bald zurück.«
Vorsichtig öffnete er die Tür, dann schlüpfte er hinaus.
Ich griff nach den Büchern,
die Athenaide mitgebracht hatte. Es waren nur zwei: das
Taschenbuch-Faksimile der First Folio und der Chambers-Band aus der
Widener-Bibliothek. Die Briefe steckten alle noch darin - und es war sogar
einer dazugekommen. Athenaide hatte Ophelias Brief an Jem
zwischen die anderen gelegt. Ich zog ihn heraus.
Was hatte Ophelia an Emily
Folger geschrieben? Wo blieb Dr. Sanderson? Wie lange dauerte es, bis
neunundsiebzig zu zählen? Unruhig las ich die Briefe noch einmal.
Ich versuchte gerade, die
Howard’schen Verwicklungen zu entwirren, als es klopfte und ich
hochschreckte. Ein schlichtes doppeltes Klopfen. Nicht Bens kompliziertes
Rauchzeichen.
»Kate Stanley«,
sagte eine leise Stimme. Mir stockte der Atem. DCI Sinclair.
Ich schob die Briefe zurück
in den Chambers-Band, nahm die Bücher an mich und wich von der Tür
zurück.
»Ich weiß, dass
Sie da drin sind.«
Hektisch sah ich mich im
Zimmer um. Die Tür in der Nische war abgeschlossen. Der einzige
Ausweg waren die Fenster, doch sie ließen sich nicht
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