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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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König samt der königlichen
     Familie, dem Ober- und dem Unterhaus und unzählige namenlose
     Passanten in die Luft gejagt. Hätten die Verschwörer Erfolg
     gehabt, wäre nicht viel von Westminster übrig geblieben. Und
     England wäre vielleicht in die Knie gegangen.
    Die Frau betrachtete die
     Gesichter auf der Tribüne - junge und alte, mit schaulustigen,
     erregten und ungeduldigen Mienen, in prächtige Satin- und Samtroben
     gewandet. Männer, die bei der blutigen Feuersbrunst zerfetzt worden wären,
     hätten die Verschwörer das Pulver gezündet, das sie in den
     Kellern unter dem Parlament gehortet hatten. Sie sah Richter, Geheimräte,
     Adlige und sogar Bischöfe. Es saßen auch einige von weniger
     hohem Rang dort oben, die wohlhabend genug waren, sich den Respekt zu
     erkaufen. Anwälte und Kaufleute, Landbesitzer und Minister. Sogar der
     eine oder andere Dichter. Die Howards waren in großer Zahl vertreten
     - an ihrer Spitze der Graf von Northampton und der Graf von Suffolk mit
     seinem Sohn im Schlepptau, dem jungen Lord Howard de Waiden, umgeben von
     Dienern in gelber Livree.
    Kaum hatte man den Pater vom
     Karren gezerrt, bat er um einen stillen Ort zum Beten, doch ein schwarz
     gekleideter Beamter der Krone brüllte ihn an und verlangte ein Geständnis.
     Mit ruhiger Stimme bestritt der Geistliche, dass er irgendetwas zu
     gestehen hätte.
    Sie achtete nicht auf das
     Gezeter über ihr. Gegenüber war Will von der sanften Stimme des
     Paters in den Bann geschlagen. Sie konnte sehen, wie abwechselnd Sorge und
     Ehrfurcht über seine Züge huschten, während der Jubel und
     das Geschrei im Hintergrund verebbten und die Menge schließlich ganz
     verstummte.
    Plötzlich merkte sie,
     dass sie doch hinsehen musste. Am Fuß des Galgens ging der Pater dem
     Henker zur Hand, als dieser ihn bis auf das Hemd entkleidete, dessen lange
     Schöße in einem kläglichen Anfall von Scham seitlich
     zusammengenäht waren. Demütig wie ein Kind ließ sich der Pater die
     Schlinge um den Hals legen, doch als ein Pfarrer kam, um ihm
     protestantischen Beistand anzubieten, lehnte er unbeugsam ab. Die Trommeln
     begleiteten seine Schritte, als er die Leiter hinaufstieg.
    Oben auf dem Schafott sprach
     er ein kurzes lateinisches Gebet. Der Trommelwirbel wurde schneller.
     Inzwischen hatten einige der Zuschauer, die eben noch nach Blut geschrien
     hatten, zu weinen angefangen. Der Pater kreuzte die Arme vor der Brust.
     Der Vertreter des Königs nickte. Die Trommeln hielten inne, der
     Henker riss die Leiter weg, und der Pater fiel.
    Am Boden wogte die Menge nach
     vorn, riss die Frau mit sich. Einige zwangen den Henker zurück und
     riefen: »Halt! Halt!« Andere zerrten voll Mitleid an den
     Beinen des Priesters. Das Urteil sah vor, ihn lebend vom Galgen zu nehmen,
     doch bis sich die Wachen des Königs mit Ochsenziemern und den flachen
     Seiten ihrer Schwerter bis zu dem Gefangenen vorgekämpft hatten, war
     er tot.
    Eine unheimliche Stille legte
     sich über den Platz, als die Menge zurückwich und die Schlächter
     zu Werk gingen. Der Frau stieg der heiße, trübe Geruch von Blut
     in die Nase, und ihr wurde schwindelig. Sie schloss die Augen. Dann schlug
     sie sie müde wieder auf und riss sich widerstrebend zusammen.
    *
    Von der Tribüne sah der
     Graf von Northampton hochinteressiert zu, wie dem Verurteilten der Bauch
     aufgeschlitzt wurde. Die Argumente, die die Anklage anführte, um den
     Pater zu verdammen, stammten von ihm. Sobald das blutige Geschäft
     erledigt wäre, würde er sich an die Aufgabe machen, die Worte für
     die Veröffentlichung zu wiederholen.
    Pater Garnet hatte zugegeben,
     von der Verschwörung gewusst und nichts unternommen zu haben, um sie
     zu verhindern. Er durfte nicht, hatte der Pater beharrt; das
     Beichtgeheimnis habe es ihm verboten. Der Graf hatte die Verteidigung
     abgeschmettert. Pater Garnet, behauptete er, habe den ganzen Anschlag
     geplant.
    Die Anschuldigung war falsch,
     und der Graf wusste das. Doch er musste es sagen - überzeugend sagen
     -, um seine eigene Loyalität zu beweisen, denn es wurde gemunkelt,
     dass er selbst sowohl Katholik als auch Spanienfreund sei. Der Rachedurst
     Englands musste gestillt werden, und bevor die Menschen anfingen,
     misstrauisch nach den Howards und ihren Verbündeten unter den
     katholischen Familien zu schielen, hatte er ihnen einen Sündenbock
     hingeworfen.
    Pater Garnet wurde geopfert,
     um andere zu retten. Er würde das von

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