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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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Hollywoodschaukel auf der vorderen Veranda. Ben hielt mich immer
     noch im Arm, als er mich durch den Garten zur Haustür führte.
     Die Tür stand offen. Wir traten ein, und Ben schloss die Tür
     hinter uns, dann verriegelte er sie.
    Bis auf den dämmrigen
     Schein einer chinesischen Vasenlampe im Treppenhaus lag das Haus im
     Dunkeln, doch Ben führte mich unbeirrt über die Perserteppiche
     an der Treppe vorbei, durch ein Esszimmer bis in die Küche an der Rückseite
     des Hauses.
    »Ich schätze, Sie
     kennen die Besitzer?«
    »Sind verreist.«
     Er legte meine Bücher auf dem Küchentisch ab und knipste das
     Licht an. »Setzen Sie sich«, sagte er, und ich gehorchte.
     »Ich gehe jetzt zum Waschbecken.« Seit er mich aus den Büschen
     gerettet hatte, hatte er mich nicht losgelassen. Ich starrte ihn an, als könnte
     er sich vor mir in Luft auflösen.          
    Ben durchsuchte die
     Schubladen, fand ein sauberes Handtuch und feuchtete es unter dem
     Wasserhahn an.
    Ich versuchte die Panik zurückzudrängen.
     »Die Leute verlassen einfach ihr Haus, wenn Sie es brauchen? Und
     lassen die Tür offen stehen?«
    Er sah mich lächelnd an.
     »Hängt davon ab, wie gut die Beziehungen sind, die man hat.
     Aber, nein, so einfach ist es nicht. Das hier gehört zum Notfallplan,
     für den ich in der letzten Stunde alle Strippen gezogen habe, die ich
     irgendwie erreichen konnte.«
    Ich beugte mich über den
     Tisch und öffnete meine Faust. Das Papier, das ich die ganze Zeit in
     der Hand gehalten hatte, glitt heraus, und das eingewickelte Objekt rollte
     auf den Tisch. Eine schwarze Brosche, mit zierlichen Blumen bemalt. Das
     Original der Brosche, die ich trug. War sie noch da? Ängstlich
     betastete ich mein Revers.
    Ja, sie war noch da.
    Dann fiel mein Blick auf das
     Blatt, das vor mir auf dem Tisch lag. Es waren Blutflecke darauf, die
     langsam braun wurden. Ein Brief, datiert 1932, doch die Handschrift war
     altmodisch verschnörkelt und gestochen - sie schien in eine andere
     Epoche zu gehören. Der Brief trug Ophelias Unterschrift.
    Ein Satz in der Mitte war
     doppelt unterstrichen.
    Miß Bacon hatte Recht,
     hatte Ophelia geschrieben. Recht und nochmals Recht. 
    Ich hatte das Gefühl,
     den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wenn Delia Bacon recht
     hatte, hatte William Shakespeare aus Stratford die Stücke nicht
     geschrieben.
    »Lieber Himmel«,
     sagte jemand, und dann merkte ich, dass es meine eigene Stimme war.  
    Zwischenspiel
    3. Mai 1606
    Auf der Westseite der
     Kathedrale, hinter den bröckelnden Statuen der Propheten, stand eine
     Frau und blickte zu zwei Männern hinauf, die jenseits des Schafotts
     auf der Holztribüne saßen. Dahinter ragte die schroffe Ruine
     des Kirchturms in den Morgenhimmel auf, den ein halbes Jahrhundert zuvor
     ein Blitz getroffen hatte.
    In einen braunen
     Kapuzenmantel gehüllt, der ihr Kleid und ihr glänzendes
     schwarzes Haar verbarg, war sie dem Paar von Shakespeares Wohnstatt bis
     zur St. Pauls Cathedral auf dem Hügel unbemerkt gefolgt. Die Straßen
     waren so überfüllt, dass es leichter gewesen war, als sie befürchtet
     hatte, obwohl die Männer zu Pferd und sie zu Fuß unterwegs
     waren.
    Hätte sie gewollt, hätte
     auch sie einen Platz auf der hastig zusammengezimmerten Tribüne haben
     können, die den reichen und ranghohen Zuschauern einen guten Blick
     auf das Geschehen bot. Doch stattdessen hatte sie sich unter die Tagelöhner
     und die Lehrlinge, die Straßenkinder und die Hunde, die Mägde
     und verbrieften Bettler gemischt - das gemeine Volk, das den offenen Platz
     zwischen Schafott und Tribüne füllte und sich um die besten Plätze
     drängelte. Der Kirchhof war so voll, dass es nur noch dort Lücken
     gab, wo die Sicht auf das Spektakel versperrt war, aber das kümmerte
     sie nicht. Sie war nicht wegen der Hinrichtung gekommen. Sie wollte die
     Zuschauer sehen. Besonders zwei von ihnen.
    Plötzlich geriet die
     Menge in Bewegung. Ein dumpfes Trommeln setzte ein. Das Volk begann zu
     johlen und zu pfeifen. Weiter links teilte sich die Menge und ließ drei
     Pferde in den Kreis, die nebeneinandergespannt einen Weidenkarren zogen,
     auf dem ein Mann festgezurrt war.
    Es war Pater Henry Garnet,
     Superior des englischen Jesuitenordens. Der Priester, den die Regierung
     zum Sündenbock der Schießpulververschwörung erklärt
     hatte. Der diabolische Plan hätte bei der Parlamentseröffnung im
     vergangenen November beinahe den neuen

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