Die Shakespeare-Morde
herum. Anscheinend hatte ich es unter die Büsche geschafft.
Mein Angreifer kam auf die Füße
und torkelte ein paar Schritte. Dann war Stille.
Mucksmäuschenstill lag
ich da. Ich wagte nicht zu atmen.
Plötzlich hörte ich
Schritte, die näher kamen.
»Kate!«, rief
eine Stimme. Bens Stimme.
Ich hörte verschiedene
Schritte, welche, die kamen, und welche, die gingen.
»Kate«, rief Ben
wieder.
Ich kämpfte gegen den
Knebel. Dann raschelte es im Laub über mir, und jemand packte mich.
Die Kapuze wurde abgenommen, der Knebel herausgezogen, und Ben war da und
knüpfte meine Fesseln auf. Er hielt mich fest, während ich würgend
nach Atem rang.
»Alles in Ordnung da
unten?«, rief eine tiefe Stimme, die Respekt gewohnt war, von oben.
Ein dunkler Umriss spähte über die Balustrade, genau wie ich
vorher.
Ben zog mich tiefer ins
Dunkel.
Der Strahl einer Taschenlampe
zuckte über den Boden, streifte Dr. Sanderson, dann sprang er zurück.
Im gleichen Moment fiel mein Blick auf ein weißlich schimmerndes Stück
Papier. Sanderson hielt immer noch den Zettel in der Hand.
»Jesses«, fluchte
die Stimme. Dann polterten schwere Stiefel die Treppe herunter.
Ich zog Ben hinter mir her
und lief zu Dr. Sanderson zurück, ohne die klaffende Wunde an seinem
Hals anzusehen. Seine Hand war kalt und wurde bereits steif, doch ich
schaffte es, das Blatt aus seinem Griff zu befreien. Es war um etwas
Hartes gewickelt.
Hastig sammelte ich meine Bücher
ein. Ben kniete sich hin, um mir zu helfen. Die Papiere im Chambers waren
noch vollzählig: Ros’ Karte, Granvilles Brief an Child und
Ophelias Brief an Granville.
Ben sprach leise und gefasst.
»Das ist Ihre Chance, die Sache der Polizei zu übergeben«,
flüsterte er. »Wenn Sie hierbleiben.«
»Erst wenn ich den
Brief gelesen habe.«
»Vielleicht können
Sie nicht mehr zurück.«
»Der Brief.«
Ben nickte, dann nahm er mich
am Ellbogen und zog mich tiefer in den Schatten. Als der Polizist das Ende
der Treppe erreichte, schlichen wir uns den Hang hinunter und liefen durch
den Magnolienhain zurück zur Südseite des Kapitols. Im Schutz
der hohen Parkbäume, Buchen, Eschen und Eichen, kamen wir über
einen gepflasterten Weg auf die Independence Avenue. Im Hintergrund hörte
ich das Knistern eines Funkgeräts, als der Polizist Unterstützung
anforderte.
Im nächsten Moment
heulte ganz in der Nähe eine Sirene auf.
Eilig überquerten wir
die Straße, und vor dem klassizistischen Eingang eines Regierungsgebäudes
winkte Ben ein Taxi heran. Sekunden später waren wir im Viertel
Capitol Hill abgetaucht. Ein paar Querstraßen nordöstlich ließen
wir uns absetzen. Ben hakte mich unter, und wir gingen schnellen Schrittes
die Straße hinauf. Ich versuchte mich zu orientieren, doch immer
wieder tauchte Dr. Sandersons Gesicht aus der Dunkelheit vor mir auf, die
klaffende Wunde an seinem Hals wie zum stummen Schrei geöffnet.
Irgendwann blieb ich stehen und musste mich in einen Vorgarten übergeben.
Ben legte mir seinen Mantel
um die Schultern und nahm mich in den Arm.
»Ein hässlicher
Tod«, sagte er.
»Er wurde meuchlings
ermordet«, keuchte ich. »Sie haben ihn auf den Stufen des
Kapitols zu Julius Cäsar gemacht.«
»Ja.«
Er versuchte nicht, den
Vorfall zu entschuldigen oder irgendwie schönzureden, und ich war ihm
dankbar dafür. Ich war auch dankbar, dass er mich festhielt. In der
hereinbrechenden Nacht war seine physische Präsenz das Einzige, das
mir Sicherheit gab. Blinzelnd versuchte ich die Tränen zurückzuhalten,
und wir gingen ein Stück, ohne zu sprechen.
»Ich glaube …«
Ich schluckte. »Ich glaube, er sollte auch Bassianus sein.«
»Wer?«
»Lavinias Geliebter.
Ihm wurde die Kehle aufgeschlitzt, und seine Leiche wurde in eine Grube im
Wald geworfen, bevor … bevor Lavinia vergewaltigt und verstümmelt
wurde.«
Bens Umarmung wurde fester.
»Hat er -?«
»Nein.« Doch die
Stelle zwischen meinen Beinen, wo er zugepackt hatte, brannte. »Wo
gehen wir hin?«
»Ich habe einen Plan
ins Rollen gebracht, Kate, und wenn Sie nicht zur Polizei wollen, ziehen
Sie das am besten mit durch.«
Ich nickte. An der nächsten
Ecke bogen wir rechts ab. Ein paar Meter weiter öffnete Ben das
Eisentor zum Garten des Eckhauses. Es war ein tiefblaues Haus aus dem 19.
Jahrhundert mit Giebeln und Türmchen, Kletterrosen an den Säulen
und einer
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