Die Shakespeare-Morde
allen am besten verstehen.
Der Graf räusperte sich.
Er hatte seine Sache gut gemacht. Zu schade, dass die Organisatoren der
Veranstaltung die ihre nicht auch gut machten. Der Graf hatte sie davor
gewarnt, den Pater die Stimme erheben zu lassen.
Auf dem Podium erhob sich der
Henker. Er riss die Faust in die Luft und hielt das Herz des Paters hoch,
von dem ein Schwall Blut in die Menge spritzte. Auf der Tribüne hielt
sich ein junger Mann mit goldenem Haar den Arm vors Gesicht. Ein
einzelner, feucht glänzender Blutstropfen hatte den Spitzenbesatz
seines Ärmels getroffen. Der Jüngling erbleichte.
»Seht her, das Herz!«,
rief der Henker - das Stichwort, auf das die Menge in den Jubel der
Genugtuung ausbrechen sollte. Doch es blieb still. Die Augen der Menge
waren auf den jungen Mann gerichtet, der mit Grauen auf das Blut an seinem
Ärmel starrte, und ein düsteres Murmeln erhob sich.
Jetzt sah auch der Graf von
Northampton näher hin. Das Gesicht des Mannes neben dem Jüngling
war ihm wohlbekannt, und auch den Jungen glaubte er zu erkennen. Ein
Shelton, wenn er nicht irrte, nur an den Vornamen des Burschen konnte er
sich nicht erinnern. Als Shelton war er von Rechts wegen ein Howard. Der
Graf beugte sich vor und flüsterte seinem Großneffen Theophilus
etwas zu. Kurz daraufbegann einer der anderen Sheltons sich den Weg über
die Tribüne zu seinem Bruder zu bahnen.
In der Zwischenzeit stand
Northampton auf. »Seht her, das Herz!«, rief er in die
unheimliche Stille, und seine Stimme knatterte wie eine Flagge im Wind.
Mit todernster Miene sah er dem Jungen in die Augen.
Northampton hatte geschworen,
als Buße für die Opferung von Pater Garnet für Ersatz zu
sorgen. Wenn durch seine Machenschaften ein Priester sterben musste, würde
er dafür sorgen, dass ein anderer ordiniert wurde. Ein Priester für
einen Priester. Und was gäbe es für einen besseren Ersatz als
den jungen Mann, der vom Blut des Märtyrers gezeichnet war?
*
Von unten auf dem Platz
beobachtete die dunkle Frau ebenfalls, wie das Blut Wills Ärmel
befleckte, und auch sie sah das Grauen in seinem Blick. Dann nahm sie eine
andere Bewegung wahr. Ein zweiter goldener Schopf bahnte sich den Weg
über die Tribüne. Einer von Wills Brüdern, der die gelbe
Farbe der Howards trug.
Sie drängte sich vor.
Doch der Bruder erreichte Will zuerst und beugte sich zu ihm, um ihm etwas
ins Ohr zu flüstern. In Wills Gesicht glimmte ein Funke auf, der
immer heller zu werden schien, bis der Glanz der Verzückung das
Grauen auslöschte. Der Jüngling sprang auf und blickte mit hoch
erhobenem Ärmel zu Northampton hinüber. »Seht her, das
Herz!«, wiederholte er heiser.
In diesem Moment wusste sie,
dass sie ihn verloren hatte. Sie blieb stehen.
Shakespeare, der neben Will
stand, sah zu ihr herunter.
Sie hatten ihn beide
verloren.
Plötzlich wurde ihr
übel, und sie wandte sich ab. Um sie herum begann die Menge zu
schieben. Jemand rempelte sie an, und sie stürzte auf die Knie. Ein
anderer trat ihr in den Rücken, ein Stiefel verfehlte nur knapp ihren
Kopf.
Dann wurde sie von starken
Armen auf die Füße gezogen. »Wenn du den Anblick der
Gerechtigkeit nicht aushältst«, sagte eine freundliche
schottische Stimme, »bleib lieber daheim.«
Der Anblick der
Gerechtigkeit! Schmerz und Tod, gegenwärtig und zukünftig, das
war alles, was sie gesehen hatte. Doch es war nicht der Tod, der ihr
Übelkeit bereitete. Es war ein neues Leben.
Sie erwartete ein Kind.
Wessen Kind, das wusste sie nicht. Zwei Geister hab’ ich trost- und
qualenreich …
Sie zog sich die Kapuze tief
ins Gesicht und stolperte die Straße entlang davon.
DRITTER AKT
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28
Ich saß in der Küche
am Capitol Hill und starrte das Blatt an, das vor mir lag. Wieder las ich
den unterstrichenen Satz: Miß Bacon hatte Recht - Recht und nochmals
Recht.
Einen Moment lang hatte ich
das Gefühl, an der Decke zu schweben. Nur weil Ophelia glaubte, Delia
hätte recht, ist es noch lange nicht erwiesen, dachte ich, während
das Adrenalin durch meine Adern rauschte.
»Lesen Sie den Brief«,
sagte Ben.
Er war nicht leicht zu lesen.
Das Papier war zerknittert und mit getrocknetem, bräunlichem Blut
verschmiert. Einige Worte waren lange vor dem heutigen Abend durch Regen,
Wein oder Tränen verwischt und ausgelöscht
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