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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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allen am besten verstehen.
    Der Graf räusperte sich.
     Er hatte seine Sache gut gemacht. Zu schade, dass die Organisatoren der
     Veranstaltung die ihre nicht auch gut machten. Der Graf hatte sie davor
     gewarnt, den Pater die Stimme erheben zu lassen.
    Auf dem Podium erhob sich der
     Henker. Er riss die Faust in die Luft und hielt das Herz des Paters hoch,
     von dem ein Schwall Blut in die Menge spritzte. Auf der Tribüne hielt
     sich ein junger Mann mit goldenem Haar den Arm vors Gesicht. Ein
     einzelner, feucht glänzender Blutstropfen hatte den Spitzenbesatz
     seines Ärmels getroffen. Der Jüngling erbleichte.
    »Seht her, das Herz!«,
     rief der Henker - das Stichwort, auf das die Menge in den Jubel der
     Genugtuung ausbrechen sollte. Doch es blieb still. Die Augen der Menge
     waren auf den jungen Mann gerichtet, der mit Grauen auf das Blut an seinem
     Ärmel starrte, und ein düsteres Murmeln erhob sich.
    Jetzt sah auch der Graf von
     Northampton näher hin. Das Gesicht des Mannes neben dem Jüngling
     war ihm wohlbekannt, und auch den Jungen glaubte er zu erkennen. Ein
     Shelton, wenn er nicht irrte, nur an den Vornamen des Burschen konnte er
     sich nicht erinnern. Als Shelton war er von Rechts wegen ein Howard. Der
     Graf beugte sich vor und flüsterte seinem Großneffen Theophilus
     etwas zu. Kurz daraufbegann einer der anderen Sheltons sich den Weg über
     die Tribüne zu seinem Bruder zu bahnen.
    In der Zwischenzeit stand
     Northampton auf. »Seht her, das Herz!«, rief er in die
     unheimliche Stille, und seine Stimme knatterte wie eine Flagge im Wind.
     Mit todernster Miene sah er dem Jungen in die Augen.
    Northampton hatte geschworen,
     als Buße für die Opferung von Pater Garnet für Ersatz zu
     sorgen. Wenn durch seine Machenschaften ein Priester sterben musste, würde
     er dafür sorgen, dass ein anderer ordiniert wurde. Ein Priester für
     einen Priester. Und was gäbe es für einen besseren Ersatz als
     den jungen Mann, der vom Blut des Märtyrers gezeichnet war?
    *
    Von unten auf dem Platz
     beobachtete die dunkle Frau ebenfalls, wie das Blut Wills Ärmel
     befleckte, und auch sie sah das Grauen in seinem Blick. Dann nahm sie eine
     andere Bewegung wahr. Ein zweiter goldener Schopf bahnte sich den Weg
     über die Tribüne. Einer von Wills Brüdern, der die gelbe
     Farbe der Howards trug.
    Sie drängte sich vor.
     Doch der Bruder erreichte Will zuerst und beugte sich zu ihm, um ihm etwas
     ins Ohr zu flüstern. In Wills Gesicht glimmte ein Funke auf, der
     immer heller zu werden schien, bis der Glanz der Verzückung das
     Grauen auslöschte. Der Jüngling sprang auf und blickte mit hoch
     erhobenem Ärmel zu Northampton hinüber. »Seht her, das
     Herz!«, wiederholte er heiser.          
    In diesem Moment wusste sie,
     dass sie ihn verloren hatte. Sie blieb stehen.
    Shakespeare, der neben Will
     stand, sah zu ihr herunter.
    Sie hatten ihn beide
     verloren.
    Plötzlich wurde ihr
     übel, und sie wandte sich ab. Um sie herum begann die Menge zu
     schieben. Jemand rempelte sie an, und sie stürzte auf die Knie. Ein
     anderer trat ihr in den Rücken, ein Stiefel verfehlte nur knapp ihren
     Kopf.
    Dann wurde sie von starken
     Armen auf die Füße gezogen. »Wenn du den Anblick der
     Gerechtigkeit nicht aushältst«, sagte eine freundliche
     schottische Stimme, »bleib lieber daheim.«
    Der Anblick der
     Gerechtigkeit! Schmerz und Tod, gegenwärtig und zukünftig, das
     war alles, was sie gesehen hatte. Doch es war nicht der Tod, der ihr
     Übelkeit bereitete. Es war ein neues Leben.
    Sie erwartete ein Kind.
     Wessen Kind, das wusste sie nicht. Zwei Geister hab’ ich trost- und
     qualenreich …
    Sie zog sich die Kapuze tief
     ins Gesicht und stolperte die Straße entlang davon.

 
    DRITTER AKT
    _________________________

 
    28
    Ich saß in der Küche
     am Capitol Hill und starrte das Blatt an, das vor mir lag. Wieder las ich
     den unterstrichenen Satz: Miß Bacon hatte Recht - Recht und nochmals
     Recht.
    Einen Moment lang hatte ich
     das Gefühl, an der Decke zu schweben. Nur weil Ophelia glaubte, Delia
     hätte recht, ist es noch lange nicht erwiesen, dachte ich, während
     das Adrenalin durch meine Adern rauschte.
    »Lesen Sie den Brief«,
     sagte Ben.
    Er war nicht leicht zu lesen.
     Das Papier war zerknittert und mit getrocknetem, bräunlichem Blut
     verschmiert. Einige Worte waren lange vor dem heutigen Abend durch Regen,
     Wein oder Tränen verwischt und ausgelöscht

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