Die Shakespeare-Morde
Sir.«
Und dann erschwindelte sich
Sir Henry trotz des ausdrücklichen Halteverbots die Erlaubnis, den
Bentley direkt vor dem Tor der Abbey zu parken, unter dem Vorwand, er
wolle zwei jungen Freunden die Schönheit der Abendandacht
nahebringen. Ich schob die Brosche in meine Jackentasche, und wir stiegen
aus.
Der Küster verscheuchte
eine kleine Touristengruppe. »Leider hat die Andacht schon begonnen«,
sagte er.
»Wir sind so still wie
Kirchenmäuse«, versprach Sir Henry.
»Rein und wieder raus«,
flüsterte Ben, als wir eilig auf das große Westportal zugingen.
»So schnell wie möglich.«
Die Propheten in den
Buntglasfenstern an der Westseite gaben dem wässrigen graugrünen
Licht in der Kirche einen farbigen Schimmer. Vom Chorraum schwebte der
überirdische Sopran eines einzelnen Knaben durch den Raum bis unter
die Deckengewölbe. Nun danket alle Gott… Die tiefen Töne
des Männerchors stimmten mit ein und flochten sich melodisch, in
elisabethanischer Polyphonie, unter die jungen Stimmen. William Byrd
vielleicht oder Rinckart.
Sir Henry hastete durch das
leere Kirchenschiff auf den von goldenem Licht erfüllten Chorraum zu.
Ich musste mich beeilen, um mitzuhalten. Durch einen reich verzierten
Spitzbogen sah ich den Chor und die Gemeinde, doch Sir Henry verschwand
rechts hinter einer massigen Säule und steuerte auf einen schwach
erleuchteten Gang zu. Ben und ich folgten ihm. Als der Gang sich wieder
öffnete, blieb Sir Henry stehen und zeigte auf die Ecke, die vor uns
lag. Wir standen im südlichen Querschiff. Poets’ Corner.
Vor uns, auf einem breiten
Sockel unter einem klassizistischen Giebel, hielt ein lebensgroßer
Marmor-Shakespeare Hof. Um ihn herum hingen die Büsten anderer Poeten
an der Wand, die ihn wie ein Schwarm heiliger Englein umringten, doch der
Barde würdigte sie keines Blickes. In ewiger Lässigkeit lehnte
er auf einem Stapel Bücher, während seine linke Hand auf eine
herabhängende Schriftrolle deutete.
Ich ging auf Zehenspitzen näher
heran, um die Inschrift zu lesen. Prosperos Worte - der wehmütige
Abschied des Magiers von der Kunst aus ›Der Sturms Im Hintergrund
schwoll der Chorgesang an und verebbte wieder.
So sollen die wolkenumkränzten
Thürme,
Die stattlichen Paläste,
Die feyrlichen Tempel,
Und diese grosse Erdkugel
selbst -
Und alles was sie in sich
fasst,
Zerschmelzen,
Und gleich diesem
unwesentlichen Schauspiel Nicht die mindeste Spur zurücklassen.
»Er zeigt auf das Wort
›Tempel‹«, sagte Ben. »Kann das etwas zu
bedeuten haben?«
Ich rollte mit den Augen, und
Sir Henry stöhnte. »Gott, bitte keine Tempel. Oder
Tempelritter.«
»Ist nicht zu Haus, der
arme Kerl«, meldete sich plötzlich eine traurige Stimme hinter
uns, und wir fuhren erschrocken herum. »Woanders begraben. In
Stratford haben sie ihn, und in Stratford behalten sie ihn. Dabei gehört
er von Rechts wegen uns - nationales Kulturgut und so weiter.«
Vor uns stand ein weiterer
rot gewandeter Küster. Aus seiner Glatze spross ein trotziges Haarbüschel,
seine Stirnfalten beschrieben ein großes M, und seine Segelohren
standen ab wie die Griffe einer Teekanne. Er hatte die Hände auf dem
Rücken verschränkt und blickte ehrfurchtsvoll zu Shakespeare
hinauf. »Sie dagegen«, sagte er dann und bedachte uns mit
einem bösen Blick, »sind hier, obwohl Sie hier nichts zu suchen
haben. Die Andacht findet im Chorraum statt«, erklärte er und
wies hinter sich, »wenn ich also bitten darf …«
Sir Henry ignorierte den
ausgestreckten Arm des Küsters. »Warum zeigt Shakespeare auf
das Wort ›Tempel‹?«
»Tut er das?« Der
Küster zog die Brauen zusammen. »Das tut er nicht immer.«
»Wollen Sie etwa sagen,
der Kerl bewegt sich?«, fragte Sir Henry.
»Das kann er nicht, Sir«,
antwortete der Küster, »er ist ja tot. Auch wenn er nicht hier
tot ist. Wie Jonson sagte: ›Ein Denkmal ohne Grab.‹ Zufälligerweise
dichte ich selbst. Möchten Sie vielleicht einen oder zwei Verse hören?«
»O ja«, sagte
Ben, ohne die Miene zu verziehen.
»Ganz sicher nicht«,
zischte Sir Henry, doch der Küster legte bereits los:
»Als Shakespeare
entschlief die ganze Welt rief: O Will, warum habt Ihr uns verlassen?«
»Das Denkmal«,
beharrte Sir Henry zähneknirschend.
»Dazu komme ich gleich«,
sagte der Küster. »O marmornes Grab! O irdener Schoß!«
»Bewegt es
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