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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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herunter und klingelte. »Sir Henry Lee«, verkündete
     er majestätisch. »Um das Haus zu besichtigen.«
    Was dachte er sich? Es war
     fast acht Uhr abends.
    Die Gegensprechanlage blieb
     stumm.
    Sir Henry wollte gerade zum
     zweiten Mal klingeln, als das Tor zum Leben erwachte und sich
     widerstrebend öffnete. Langsam, mit knirschenden Reifen, rollte der
     Bentley die Kiesauffahrt hinauf, die um eine geometrische Parkanlage
     herumführte. Die Sicht auf das Schloss wurde von Spalierbäumen
     verdeckt, nur die Fontäne eines großen Springbrunnens in der
     Mitte der Anlage war zu sehen. Als wir die andere Seite des kleinen Parks
     erreichten, stand die große Eingangstür offen. Heraus trat eine
     kleine Frau mit einem nervösen Lächeln auf dem Gesicht.
    »Willkommen in Wilton
     House, dem Sitz des Grafen von Pembroke. Welche Ehre, Sie hier begrüßen
     zu dürfen, Sir Henry.« Sie streckte ihm die Hand entgegen.
     »Mrs Quigley. Marjorie Quigley. Ich leite die Führungen. Ich
     hatte ja keine Ahnung, dass Sie für heute Abend auf der Liste stehen.
     Dabei hätte ich es mir denken können, nicht wahr? Shakespeares
     Musik und so weiter. Ich fürchte nur, Sie sind ein wenig zu früh
     dran«, sagte sie, während wir aus dem Wagen stiegen. »Die
     Führung durch das Haus soll eigentlich nach dem Konzert stattfinden -
     das just in diesem Moment beginnt.«
    »Und ich hatte mich so
     auf beides gefreut«, sagte Sir Henry seufzend. »Leider können
     meine beiden jungen Freunde keinen Augenblick länger hierbleiben als
     bis zum Schlusstakt.«
    »Wie schade!«,
     rief Mrs Quigley und wandte sich an uns. »Das Haus ist so wunderschön
     bei Kerzenlicht.«
    »Vielleicht …«
     Sir Henry räusperte sich diskret. »Wäre es eine fürchterliche
     Zumutung für Sie, wenn wir uns jetzt gleich ein bisschen umsehen dürften?«
    »Aber dann versäumen
     Sie das Konzert«, antwortete Mrs Quigley entsetzt. »Das
     Bournemouth Symphony Orchestra lädt zum musikalischen Abend mit
     Shakespeare‹ ein.«
    »Ich würde eher
     auf das Konzert verzichten als auf die Besichtigung«, entgegnete Sir
     Henry.
    »Natürlich«,
     sagte Mrs Quigley. »Natürlich. Nun, dann kommen Sie herein.«
    Bevor sie ihre Meinung ändern
     konnte, hatten wir uns durch die Tür geschoben.
    Im blassen blauen Gegenlicht
     der Dämmerung, das durch zwei gotische Spitzbogenfenster hereinfiel,
     stand die Shakespeare-Statue in der Mitte eines hallenden Foyers. Genau
     wie in Westminster Abbey stützte er lässig den Ellbogen auf
     einen Stapel Bücher. Doch hier musste er sich nicht unter einen
     Giebel ducken. Er stand frei in der Halle und wirkte dadurch größer
     und entspannter zugleich. Der Mantel, der über seiner Schulter hing,
     schien im unsichtbaren Wind zu flattern, während der Dichter in die
     Ferne blickte, als würde er über ein paar neue Verse nachdenken.
     Nichts Großes, kein ganzes Stück, aber womöglich ein
     Sonett oder ein Liedchen. Etwas, das sich reimte.
    »Ist er nicht schön?«,
     sagte Mrs Quigley stolz. »Die Kopie wurde bereits 1743 angefertigt,
     nach der Statue in Westminster Abbey.«
    Doch es war keine exakte
     Kopie. Wie der Küster angekündigt hatte, stand auf der
     Schriftrolle ein anderes Zitat:
     
    LEBEN ist nur ein wandelnd
     SCHATTENBILD
    Ein armer SCHAUSPIELER
    Der spreizt & knirscht
     sein Stündchen
    Auf der BÜHNE
    Und dann nicht mehr
     vernommen wird!
    Shaks. Macb.
     
    »Meine Nichte sagt, in
     Schauspielerkreisen hält man ›Macbeth‹ für ein
     unglückseliges Stück«, sagte Mrs Quigley. »Aber den
     Pembrokes hat es kein Unglück gebracht, da bin ich mir sicher. Denn
     das Zitat gehört schon seit Shakespeares Zeiten zum Gefüge des
     Hauses. Er ist sogar selbst hier gewesen, wussten Sie das?«
    Meine Nackenhaare sträubten
     sich.
    »Aber die Statue wurde
     mehr als hundert Jahre nach seinem Tod erschaffen«, sagte Sir Henry
     scharf.
    »Ja, gewiss. Doch bevor
     die Statue aufgestellt wurde, stand die Inschrift über dem alten
     Hauseingang.«
    Sir Henry drehte sich um und
     warf einen Blick zu der Tür, durch die wir gekommen waren.
    »Nicht hier«,
     sagte Mrs Quigley mit sichtlichem Vergnügen. »Im neunzehnten
     Jahrhundert wurde der ganze Eingangsbereich grundlegend verändert.«
     Sie ging an der Statue vorbei auf einen Kreuzgang zu, von dem sie in den
     Hof hinunter zeigte. Wie die Widener-Bibliothek war Wilton House um einen
     Innenhof angelegt. Wir hatten das Schloss im Erdgeschoss betreten,

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