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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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Schwester von Heinrichs sechster und letzter Gattin Katharine Parr
     verheiratet war. Von heißblütigem Mord über das französische
     Exil, die Begnadigung durch den König, gefolgt von Ritterschaft, bis
     hin zur Freiherrn- und schließlich zur Grafenwürde war es ein
     steiler, ungewöhnlicher Aufstieg, den der erste Graf mit schnellen,
     leichtfüßigen Schritten hinlegte. 
    Von Seiten der Mutter erbten
     die Brüder, was man sprachlichen Adel nennen könnte. Mary Sidney
     Gräfin von Pembroke war eine große Patronin der Literatur und
     Bildung und selbst eine gute Dichterin. Ihr Bruder, der Onkel der
     Unvergleichlichen, war der Dichter-Soldat Sir Philip Sidney, dessen
     Charme, Witz, Idealismus und viel zu früher Tod auf dem Schlachtfeld
     wie eine Sternschnuppe über dem elisabethanischen Hof aufglühten.
     Nach seinem Tod wurde die Gräfin die selbst ernannte Hüterin der
     Flamme ihres Bruders.       
    Genährt vom Vorbild
     ihrer Ahnen und fast unvorstellbarem Reichtum, wuchs das Brüderpaar
     zu Männern von höchster Bildung und erlesenem Geschmack heran. Könige
     vertrauten ihrem Kunst- und Kulturverstand: Nacheinander führten sie
     sechsundzwanzig Jahre, unter Jakob I. und Karl I., als Oberkammerherren
     den königlichen Haushalt.
    Eine der Künste, die sie
     zu schätzen wussten, war das Theater. »Da es Euren Lordschaften
     beliebte, diese Possen anzuerkennen«, hieß es in der Folio,
     »und beides, die Possen und ihren lebenden Verfasser, mit Eurer Fürsprache
     zu unterstützen … haben wir alles versammelt, um dem Toten
     einen guten Dienst zu erweisen, indem wir uns zum Vormund seiner Waisen
     machen; ohne eigene Ziele, sei es an Profit oder Ruhm, gleich unserem
     SHAKESPEARE, indem wir demütig seine Stücke unter Eure edelste
     Schirmherrschaft stellen.«
    Der Brief war unterzeichnet
     von John Heminges und Henry Condell, Shakespeares Schauspielerkollegen bei
     der King’s-Men-Truppe.
    »Seht ihr?«,
     sagte Sir Henry. »Die Stücke sind von Shakespeare. Heminges und
     Condell wussten das, und die Brüder Pembroke und Montgomery wussten
     es auch.«
    Ich grinste spöttisch.
     »Es sei denn, die ganze Folio ist Teil des Ablenkungsmanövers.«
    »Das glaubst du selber
     nicht, und das weißt du genau. Und vor allem, ich weiß es.«
    Ich seufzte. Der Haken der
     Theorie bestand immer noch im Ausmaß der Verschwörung, die dafür
     nötig gewesen wäre. Heminges und Condell hatten den Brief
     unterzeichnet, auch wenn der Text beiläufige Bildungsmarker und
     rhetorische Schnörkel aufwies, die stark nach Ben Jonson klangen,
     weswegen viele von seiner Autorschaft überzeugt waren, ganz gleich,
     von wem die Unterschriften stammten. Doch falls es sich wirklich um eine
     Verschwörung handelte, dann wussten nicht nur Heminges und Condell,
     sondern wahrscheinlich die ganze Theatertruppe Bescheid, genau wie Ben
     Jonson und mindestens zwei weitere Kollegen. Und dennoch hatte keiner von
     ihnen ein Sterbenswörtchen ausgeplaudert.
    »Nein«, sagte ich
     zu Sir Henry. »Du hast recht. Ich glaube es nicht.« Inzwischen
     wusste ich überhaupt nicht mehr, was ich glauben sollte. Während
     der Bentley durch den langen englischen Sommerabend schnurrte, nahm ich
     die Brosche aus der Tasche und dachte an den goldenen Jüngling, der
     darin verborgen war. Das Blau des Himmels wurde unmerklich tiefer, das Grün
     der Felder und Wälder nahm einen Smaragdschimmer an. Wir glitten
     über die Kuppen des Hügellands, wo zur Rechten die Menhire von
     Stonehenge ewige Wache hielten. Wenig später verließen wir die
     Schnellstraße und folgten einer schmalen, von Hecken gesäumten
     Landstraße durch die Felder.
    Wilton House, bis heute Sitz
     der Grafen von Pembroke, lag am Eingang des Dorfes Wilton, ein paar
     Kilometer westlich von Salisbury. Das Erste, was ich von Wilton House sah,
     war eine hohe, mit Moos bewachsene Steinmauer. Von einem triumphalen
     Torbogen blickte ein römischer Kaiser zu Pferd gütig zu uns
     herab, doch das schmiedeeiserne Tor, das uns den Weg versperrte, war
     weniger freundlich und blieb verschlossen. Ein Schild verriet, dass für
     Konzertbesucher ein Parkplatz auf der Rückseite des Anwesens
     vorgesehen sei; darunter war eine kleine Umgebungskarte abgebildet. 
    Ein Konzert? Wir sahen
     Lichter am anderen Ende des Hofs, aber keine Konzertbesucher.
    Sir Henry ignorierte das
     Schild und wies Barnes an, bis zur Gegensprechanlage vorzufahren. Dann ließ
     er das Fenster

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