Die Shakespeare-Morde
Schwester von Heinrichs sechster und letzter Gattin Katharine Parr
verheiratet war. Von heißblütigem Mord über das französische
Exil, die Begnadigung durch den König, gefolgt von Ritterschaft, bis
hin zur Freiherrn- und schließlich zur Grafenwürde war es ein
steiler, ungewöhnlicher Aufstieg, den der erste Graf mit schnellen,
leichtfüßigen Schritten hinlegte.
Von Seiten der Mutter erbten
die Brüder, was man sprachlichen Adel nennen könnte. Mary Sidney
Gräfin von Pembroke war eine große Patronin der Literatur und
Bildung und selbst eine gute Dichterin. Ihr Bruder, der Onkel der
Unvergleichlichen, war der Dichter-Soldat Sir Philip Sidney, dessen
Charme, Witz, Idealismus und viel zu früher Tod auf dem Schlachtfeld
wie eine Sternschnuppe über dem elisabethanischen Hof aufglühten.
Nach seinem Tod wurde die Gräfin die selbst ernannte Hüterin der
Flamme ihres Bruders.
Genährt vom Vorbild
ihrer Ahnen und fast unvorstellbarem Reichtum, wuchs das Brüderpaar
zu Männern von höchster Bildung und erlesenem Geschmack heran. Könige
vertrauten ihrem Kunst- und Kulturverstand: Nacheinander führten sie
sechsundzwanzig Jahre, unter Jakob I. und Karl I., als Oberkammerherren
den königlichen Haushalt.
Eine der Künste, die sie
zu schätzen wussten, war das Theater. »Da es Euren Lordschaften
beliebte, diese Possen anzuerkennen«, hieß es in der Folio,
»und beides, die Possen und ihren lebenden Verfasser, mit Eurer Fürsprache
zu unterstützen … haben wir alles versammelt, um dem Toten
einen guten Dienst zu erweisen, indem wir uns zum Vormund seiner Waisen
machen; ohne eigene Ziele, sei es an Profit oder Ruhm, gleich unserem
SHAKESPEARE, indem wir demütig seine Stücke unter Eure edelste
Schirmherrschaft stellen.«
Der Brief war unterzeichnet
von John Heminges und Henry Condell, Shakespeares Schauspielerkollegen bei
der King’s-Men-Truppe.
»Seht ihr?«,
sagte Sir Henry. »Die Stücke sind von Shakespeare. Heminges und
Condell wussten das, und die Brüder Pembroke und Montgomery wussten
es auch.«
Ich grinste spöttisch.
»Es sei denn, die ganze Folio ist Teil des Ablenkungsmanövers.«
»Das glaubst du selber
nicht, und das weißt du genau. Und vor allem, ich weiß es.«
Ich seufzte. Der Haken der
Theorie bestand immer noch im Ausmaß der Verschwörung, die dafür
nötig gewesen wäre. Heminges und Condell hatten den Brief
unterzeichnet, auch wenn der Text beiläufige Bildungsmarker und
rhetorische Schnörkel aufwies, die stark nach Ben Jonson klangen,
weswegen viele von seiner Autorschaft überzeugt waren, ganz gleich,
von wem die Unterschriften stammten. Doch falls es sich wirklich um eine
Verschwörung handelte, dann wussten nicht nur Heminges und Condell,
sondern wahrscheinlich die ganze Theatertruppe Bescheid, genau wie Ben
Jonson und mindestens zwei weitere Kollegen. Und dennoch hatte keiner von
ihnen ein Sterbenswörtchen ausgeplaudert.
»Nein«, sagte ich
zu Sir Henry. »Du hast recht. Ich glaube es nicht.« Inzwischen
wusste ich überhaupt nicht mehr, was ich glauben sollte. Während
der Bentley durch den langen englischen Sommerabend schnurrte, nahm ich
die Brosche aus der Tasche und dachte an den goldenen Jüngling, der
darin verborgen war. Das Blau des Himmels wurde unmerklich tiefer, das Grün
der Felder und Wälder nahm einen Smaragdschimmer an. Wir glitten
über die Kuppen des Hügellands, wo zur Rechten die Menhire von
Stonehenge ewige Wache hielten. Wenig später verließen wir die
Schnellstraße und folgten einer schmalen, von Hecken gesäumten
Landstraße durch die Felder.
Wilton House, bis heute Sitz
der Grafen von Pembroke, lag am Eingang des Dorfes Wilton, ein paar
Kilometer westlich von Salisbury. Das Erste, was ich von Wilton House sah,
war eine hohe, mit Moos bewachsene Steinmauer. Von einem triumphalen
Torbogen blickte ein römischer Kaiser zu Pferd gütig zu uns
herab, doch das schmiedeeiserne Tor, das uns den Weg versperrte, war
weniger freundlich und blieb verschlossen. Ein Schild verriet, dass für
Konzertbesucher ein Parkplatz auf der Rückseite des Anwesens
vorgesehen sei; darunter war eine kleine Umgebungskarte abgebildet.
Ein Konzert? Wir sahen
Lichter am anderen Ende des Hofs, aber keine Konzertbesucher.
Sir Henry ignorierte das
Schild und wies Barnes an, bis zur Gegensprechanlage vorzufahren. Dann ließ
er das Fenster
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